"Da wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und entzog ihn ihren Blicken." So beschreibt der Evangelist Lukas im Neuen Testament die letzte Reise Jesu. In einigen katholischen Kirchen in Oberbayern wird diese Geschichte zum Hochfest Christi Himmelfahrt heute noch als Live-Spektakel inszeniert, zum Beispiel östlich von München.
Wenn Christus in Anzing zu seinem Vater heimgeht, quietscht es manchmal. Wegen der Kurbel. Denn ohne Muskelkraft und Mechanik funktioniert das fromme Schauspiel nicht. Als Triumphator über den Tod hält der Auferstandene ein Siegesbanner in der Linken, doch für seine Levitation ist er auf zupackende Hände auf dem Dachboden der Pfarrkirche "Mariä Geburt" angewiesen - und auf eine Seilwinde.
Brauch des "Herrgott-Aufziehens"
Die Entfernung zwischen Erd' und Himmel beträgt hier nicht viel mehr als zehn Meter. Das Tempo ist eher gemächlich denn raketengleich. Der Heiland lässt sich ein paar Minuten Zeit, bis er durch das "Heilig-Geist-Loch" in der Decke entschwunden ist. Er landet aber nicht in der ewigen Herrlichkeit zur Rechten Gottes, sondern für einen Kurzaufenthalt auf dem Speicher. Bald kehrt die hölzerne Figur wieder für ein Jahr an ihren Stammplatz am Taufaltar zurück.
Der Brauch des "Herrgott-Aufziehens" ist in Bayern bereits für das Jahr 1433 belegt und wurde im Laufe der Zeit immer fantastischer ausgeschmückt. Da ging es nicht mehr allein darum, eine biblische Geschichte plastisch nachzustellen. Im Gegenzug flog eine Teufelsgestalt hinunter, die im Anschluss von den Gläubigen verprügelt wurde - zum Zeichen dafür, dass Christus nun die Weltherrschaft übernommen hat und das Böse bedeutungslos geworden ist.
Mancherorts wurde der Leibhaftige sogar in Brand gesteckt; es gibt Berichte über künstlich erzeugte Gewitter und kräftige Wassergüsse, die auf Gottesdienstbesucher herabgeschüttet wurden; anderswo ließ man Heiligenbildchen, Gebäck oder Blumen von der Decke regnen.
Mehrmals unternahm die weltliche Obrigkeit Versuche, den Brauch zu unterbinden, weil es zu Unfällen kam und der Aufwand immer mehr ins Geld ging - ohne Erfolg. Erst in der Zeit der Aufklärung wurden die "geistlosen und zweckwidrigen Zeremonien" allmählich eingestellt.
Außer in Anzing hat sich der Auffahrtritus noch im ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift in Baumburg im Chiemgau und in Mittenwald erhalten.
Gegen eine Renaissance der dramatischen Inszenierung führen moderne Theologen einige Gründe ins Feld: Das Himmelreich sei im biblischen Sinne nicht "oben" anzusiedeln, entrückt in den unendlichen Weiten des Alls. Vielmehr sei Gott allgegenwärtig - mitten unter den Menschen.
Fliegendes Fleisch verzehren
Im Landkreis Ebersberg ist man über derlei Bedenken erhaben. Wenn dort der Aufzug in Gang gesetzt wird, beginnt sich der Gottessohn wegen des gedrillten Seils langsam zu drehen. Das sieht dann so aus, als ob er alle Anwesenden ringsum segnet. Eine Symbolik, der nicht nur Anzinger Pfarrer Bernhard Waldherr einiges abgewinnen kann.
Frühere Generationen glaubten den Windungen des Herrn vor seinem Verschwinden eine meteorologische Vorhersage entnehmen zu können.
Wohin Christus von oben zuletzt blickte, aus dieser Richtung war das nächste Unwetter zu erwarten.
Von einem anderen alten Himmelfahrtsbrauch in Bayern ist kaum mehr etwas übrig als abgewandelte Rezepte: Seit dem Mittelalter war es üblich, an diesem Feiertag "fliegendes Fleisch" zu verzehren, also Geflügel aller Art: Fasane, Tauben, Hühner, Gänse oder Enten.
In einigen Gegenden des Voralpenraums, etwa im Allgäu, wurde diese Speise durch "gebackene Brotvögel" ersetzt. Sie sind in Cafes der Region in der Zeit vor Pfingsten weiterhin erhältlich: Es gibt sie süß und salzig, als Hefeteig oder Laugengebäck.