Pfarrer Frings hinterfragt unkritischen Gehorsam in Kirche

"Gott hat mir Geist und Verstand gegeben"

In einem neuen Buch stellen der Kölner Pfarrer Thomas Frings und die Ordensschwester Emmanuela Kohlhaas die provokante Frage, ob Gott wirklich ihren blinden Gehorsam gegenüber der Kirche will. Frings will das immer austarieren.

Pfarrer Thomas Frings (Archiv) / © Günter Benning (KNA)
Pfarrer Thomas Frings (Archiv) / © Günter Benning ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was bedeutet für Sie denn die Botschaft von Pfingsten?

Thomas Frings (Kölner Pfarrer und Autor): Pfingsten ist die Begabung zur Originalität. Auf jeden kam eine Flamme runter. Nicht eine größere und eine kleinere auf verschiedene Menschen, sondern alle, die in der Kirche sind, bekommen den Geist und sie bekommen eine Aufgabe und eine Befähigung. Ich glaube, wir sind dazu berufen, am Ende individuell und originell zu werden.

DOMRADIO.DE: Wenn es um unbedingten Gehorsam gegenüber Gott geht, dann ist die Geschichte der Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham ein Paradebeispiel. Wie gehen Sie mit dieser Geschichte im Hinblick auf Ihr Buch "Ungehorsam - Eine Zerreißrobe" um?

Frings: Da muss ich kurz die Genese dazu erklären. Ich habe bei den Schwestern der Benediktinerinnen in Köln vor Jahren eine Predigt gehalten, in der ich fiktiv dem Isaak eine Erwiderung in den Mund gelegt habe. In der Bibel kommt er ja nicht zu Wort. Da wird er vom Vater gefesselt und dann setzt er ihm noch das Messer an den Hals. Man stelle sich das mal bildlich vor: Ein Vater geht hin und will dem eigenen Kind die Gurgel durchschneiden und anschließend den ganzen Rest verbrennen und dann sagen: "Das war der Wille Gottes. Gott wollte das so."

Dem Isaak lege ich eine Erwiderung in den Mund. Der wehrt sich und am Ende antwortet der Vater darauf und kommt zur Einsicht, dass das nicht der Wille Gottes sein kann. Also nicht ein Engel, der von Gott geschickt wird, sondern der Engel ist quasi die eigene Einsicht, die er gewinnt, dass das nicht der Wille Gottes ist.

Als ich dann abends meinen Computer hochfuhr, hatte die Priorin, Schwester Emmanuela, geschrieben. Sie bedankte sich für die Predigt, aber ich hätte die Frau, ich hätte Sara vergessen, die Mutter und Frau des Abrahams. Einer Mutter, einer Frau müsste man nicht erzählen, dass eine Katastrophe passiert. Frauen würden sowas erspüren und sie hätte da gern mal Sara was Fiktives in den Mund gelegt. So entstand das und dann ist daraus ein ganzes Buch geworden.

DOMRADIO.DE: Wo beginnt bei Ihnen die Schmerzgrenze gegenüber Ihrer Kirche, die von Ihnen ohne Wenn und Aber Gehorsam verlangt?

Frings: Bei dem ohne Wenn und Aber.

DOMRADIO.DE: Also schon ziemlich früh?

Frings: Ja, ich finde es schon ziemlich spät. Es braucht immer einen gewissen Gehorsam in jeder Institution. Es geht sonst nicht anders. Ich nehme mir gern das Beispiel am Kabinettstisch. Wir sind eine Kanzlerdemokratie. Wir wählen alle ein Parlament. Das Parlament wählt eine Regierung und einen Kanzler oder eine Kanzlerin. Die sitzen am Ende zusammen. Wenn die nicht klarkommen, sagt am Ende die Kanzlerin wo es langgeht. Gegebenenfalls sagt auch das Verfassungsgericht, es geht nicht.

Wie in jeder Firma, wo am Ende nicht nur eine Mehrheit entscheiden kann, sondern auch eine Person, die die Richtlinien vorgibt, ist es in der Kirche sowie in jeder anderen Institution auch. Aber es ist kein blinder Gehorsam.

DOMRADIO.DE: Warum glauben Sie, dass Gott von Ihnen diesen blinden Gehorsam gar nicht will?

Frings: Weil Gott mir auch einen Geist und einen Verstand gegeben hat. Wir haben zwar in der Kirche die Tradition, dass alle getauft sind, aber Kirche mit Entscheidung ist eben nur gegeben, wenn sie auch geweiht sind. Nehmen wir als Beispiel die Familiensynode im Vatikan, die vor einigen Jahren war. Entscheidungsträger waren ausschließlich kinderlose Männer. Ist das richtig?

DOMRADIO.DE: Die Frage kann man sich dann stellen.

Frings: Die sollte man sich mal wirklich stellen. Ist das richtig? Wir trauen ihnen alles Mögliche zu. Aber so ganz sicher sind wir uns nicht. Und da gehe ich speziell in meinem Bereich nochmal darauf ein, indem ich die Priesterweihe thematisiere.

Es ist bei mir bald das 34. Mal, dass ich mich daran erinnere. Es war damals ganz heroisch, ganz großartig, wie so ein heiliger Ort, dem man beitritt. "Versprichst du mir und meinen Nachfolgern Ehrfurcht und Gehorsam?" Da wird nicht dem Evangelium, nicht Gott, nicht der Kirche als Gemeinschaft der Gehorsam versprochen, sondern einem konkreten Menschen, der auch mein Vorgesetzter ist und auch noch dessen unbekannten Nachfolgern.

Und es geht nicht nur um Gehorsam, sondern es wird noch eins obendrauf gesetzt. Wir wollen auch, dass das mit Ehrfurcht passiert. Damit du auch sicher bist, nennen wir das Ganze dann ein Wirken Gottes. An der Stelle kommt das einzige Mal in der Liturgie vor, "Gott selber vollende das gute Werk, das er in dir begonnen hat". Es ist Gottes Wirken, dass du dich vollkommen übergibst. Und das glaube ich heute nicht mehr.

DOMRADIO.DE: Wie ist Ihr Selbstverständnis als Priester, wenn Sie für Ungehorsam plädieren? Was möchten Sie Ihren Mitchristen damit mitgeben?

Frings: Ich plädiere nicht für Ungehorsam, sondern ich plädiere dafür, dass man sehr wohl austariert, was wie weit geht und wo eine Form überzogen worden ist. Es geht nirgendwo in der Gesellschaft ohne eine Richtlinienkompetenz, dass am Ende auch Entscheidungen gefällt werden. Es müssen immer alle Leute mitgenommen werden und wir sind da in einem, glaube ich, guten Prozess gesamtgesellschaftlich. Die Kirche hat sicherlich noch viel nachzuholen an der Stelle.

Wir sagen immer, Beteiligung ist erlaubt, aber viele sprechen inzwischen von einer Simulationsbeteiligung, dass man sagt "Wir fragen euch alle, ihr dürft alles sagen, aber entscheiden dürfen am Ende immer nur ganz Bestimmte". Und da ist die Frage: Wie gehorsam müssen auch diejenigen sein, die den Gehorsam gar nicht gelobt haben und sagen "Ich kann doch trotzdem nichts mitmachen".

DOMRADIO.DE: Jetzt haben wir gerade eine Zeit, in der es sehr viele Regeln gibt. Wie denken Sie da über das Thema nach? Hat das vielleicht auch Ihre Blickweise auf Kirche noch mal geändert?

Frings: Ja. Wir sind auch deswegen ins Kreuzfeuer gekommen und da widerspreche ich zum Beispiel auch der Presse an manchen Stellen, wenn es heißt, wir als Kirche hätten zu sehr geschwiegen, als die Messen nicht mehr gefeiert werden durften. Kirche hat an der Stelle auch Gehorsam gegenüber den staatlichen Regeln gezeigt.

Natürlich ist für einen Christen die Feier der Eucharistie und des Gottesdienstes ein unglaublicher Mehrwert als vergleichsweise ein Kinobesuch, obwohl ich gerne ins Kino gehe. Aber wir müssen uns da auch in die Regeln des Staates einfügen, selbst wenn wir in ein paar Jahren erkennen müssen, das war alles ein bisschen übertrieben. Aber es war ja aus einer Sorge heraus und nicht mit unguten Argumenten rübergebracht, wie Jens Spahn (Bundesgesundheitsminister, Anm. d. Red.) schon gesagt hat.

Ich glaube, in einigen Jahren werden wir uns alle viel gegeneinander vergeben und entschuldigen müssen, weil wir auch nicht wussten, was genau richtig ist. Dann lieber ein bisschen mehr Sorge. Das war auch Gehorsam und das Gros der Gesellschaft sieht es ja ein, wenn es mit guten Argumenten versehen ist.

DOMRADIO.DE: Was sollte sich unbedingt schnell ändern, damit der Geist Gottes wieder die Menschen erfüllen kann?

Frings: Ich glaube, der Geist Gottes kann uns erfüllen, auch wenn wir nichts daran ändern. An der Stelle habe ich ganz große Hoffnung. Einen Schnellschuss wage ich trotzdem nicht. Selbst wenn man jetzt sagen würde, wir müssen bei Ökumene, bei Interkommunion, beim Priestertum der Frau was ändern. Ja, glaube ich auch. Ich glaube auch, dass wir nicht mehr viel Zeit haben, zumindest in der deutschen oder einem großen Teil der westeuropäischen Kirche.

Das Problem ist auch das Glück der katholischen Kirche, dass sie nämlich eine Weltkirche is. Und diese Ungleichzeitigkeit muss sie auch manchmal aushalten. Aber ich kann auch Menschen verstehen, die sagen: "Ich habe zu lange ausgehalten, bin zu lange hingehalten worden. Ich glaube nicht mehr so richtig an Veränderungen."

Aber eine Hoffnung habe ich zum Beispiel, als vor einiger Zeit aus Rom Meldungen kamen und auf einmal Diözesanbischöfe auftreten und öffentlich gesagt haben, dass das wenig hilfreich ist, was von Rom gekommen ist. Das war eine spürbare, sehr hoffnungsmachende Veränderung, muss ich sagen. Das wäre vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen.

Das Interview führte Michelle Olion. 

Thomas Frings

Thomas Frings wurde 1987 in Münster zum Priester geweiht und war im Bistum Münster zunächst als Kaplan und von 1991 bis 2016 als Pfarrer im Einsatz.

Der Seelsorger hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt, nachdem er im Februar 2016 als Pfarrer und Moderator des Priesterrats des Bistums Münster zurückgetreten war.

Thomas Frings (privat)
Quelle:
DR
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