Unterentwickelt und dünn besiedelt war der Landstrich, den die Briten 1921 als "Emirat Transjordanien" aus dem Palästina-Mandat auslösten: ein verlorenes Stück Land zwischen Israel, dem Westjordanland, Syrien, Irak und Saudi-Arabien, ohne Wasser oder Bodenschätze.
75 Jahre nach der Entlassung in die Unabhängigkeit am 25. Mai 1946 steht das Land, das sich zu einem Stabilitätsfaktor im Nahen Osten und einem strategisch wichtigen Partner des Westens gemausert hat, innenpolitisch vor großen Herausforderungen.
Jordanien feiert 2021 sein 100-jähriges Bestehen
In Jordanien ist man seiner Zeit voraus. Bereits am 11. April feierte das Land sein 100-jähriges Bestehen, angelehnt an den 11. April 1921, an dem ein Konsultativrat für das neue britische Mandatsgebiet eingesetzt wurde. Weitere 25 Jahre sollte es dauern, bis das Emirat in die Unabhängigkeit eines Königreichs entlassen wurde.
Ursprünglich hatten die Briten wohl kaum daran gedacht, ein unabhängiges Jordanien zu schaffen. Doch im Dienst eigener Kolonialinteressen verstrickten sie sich in widersprüchlichen Versprechungen: der Unterstützung des arabischen Strebens nach Unabhängigkeit und der Schaffung einer "Nationalen Heimstätte" für Juden in Palästina. Eine Abtrennung der Gebiete östlich des Jordans vom Mandatsgebiet Palästina schien opportun.
Auch der spätere erste König Jordaniens, Abdullah Bin Hussein, hatte seinen Anteil an dem neuen Gebilde. In Mekka ins Haus der sich als Nachfahren Mohammeds verstehenden Haschemiten geboren, war er losgezogen, um die Vertreibung seines Bruders, König Faisal I., aus Syrien zu rächen. Mit dem Angebot, Emir Transjordaniens zu werden, brachte Winston Churchill Abdullah von seinen Plänen ab. Bruder Faisal wurde König des Iraks.
Mit der Integration der Stämme kam die Unabhängigkeit
Am 25. Mai 1946 erlosch das britische Mandat. Jordanien wurde unabhängig, Abdallah König. Durch Integration der Stammesvertreter war es ihm gelungen, die unterschiedlichen Volksgruppen des Landes zusammenzuführen.
Noch dem Enkel, König Hussein, gelang der Spagat zwischen dem Westen und der alteingesessenen Kultur. Unter der Herrschaft des Urenkels und vierten Königs jedoch begann die Ruhe zu bröckeln. Abdullah II. bin al-Hussein bewies weniger diplomatisches Geschick mit den Stämmen.
Das einstige Tabu - Kritik am König - ist in Jordanien gefallen. Zuletzt hatte Prinz Hamsa, 2004 als Kronprinz degradierter Halbbruder Abdullahs II., der Führung des Landes schwere Misswirtschaft und Korruption vorgeworfen. Nicht nur arabische Länder beeilten sich, dem Monarchen ihre Solidarität zu bekunden. Auch die USA stellten sich hinter den Herrscher.
Jordanien hat hunderttausende Flüchtlinge aufgenommen
Vertreter zahlreicher Länder gratulierten Jordanien zum 100sten und waren voll des Lobs für die ausgleichende Rolle des Landes. Auch der oberste Katholik der Region, der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Erzbischof Pierbattista Pizzaballa sparte nicht mit Anerkennung für Jordaniens Einsatz für Frieden, Dialog und Koexistenz.
Für den Westen hat Jordanien nicht nur in Sachen religiöser Mäßigung, interreligiösem Dialog und Terrorismusbekämpfung einen Wert. Vor allem hat das Wüstenland hunderttausende Flüchtlinge aus der Region aufgenommen - von den in Kriegen mit Israel vertriebenen Palästinensern bis zu den jüngsten Kriegsopfern aus Syrien.
König und Prinz legten den Streit unterdessen bei. Der Bruderzwist macht aber deutlich, dass das Land politisch und wirtschaftlich an seine Grenzen gerät. Immer wieder war es in den vergangenen Jahren zu vereinzelten Protesten gegen die Regierung gekommen. Während sich die Demonstrationen meist gegen konkrete Aspekte wie Lehrergehälter oder Steuererhöhungen richteten, hat das Ansehen der politischen Elite und des Systems gelitten.
Junge Bevölkerung fordert Reformen
Massenarbeitslosigkeit, wachsende Korruption, eingeschränkte Meinungsfreiheit und Stagnation prägen das innenpolitische Bild. Gerade die junge Bevölkerung fordert Reformen. Das Land muss sich ihrem Druck beugen und glaubwürdige Perspektiven bieten. Andernfalls, glauben manche Beobachter, könnten die 2011 fast ereignis- und folgenlos über Jordanien hinweggezogenen Aufstände in der arabischen Welt in dem Königreich ihren zweiten Frühling feiern.
Von Andrea Krogmann