DOMRADIO.DE: Ein HöVi-Land gibt es nicht - zumindest nicht so, wie wir es kennen - eher ein HöVi-Dorf. Also es findet etwas statt, aber in deutlich reduzierter Form?
Pfarrer Franz Meurer (Sozialpfarrer in Köln Höhenberg und Vingst): Ja, nomen est omen. Es ist jetzt ein Dorf, aber es wird möglich für viele Kinder, weil die Eltern von bürgerlich aufwachsenden Kindern - wie man so sagt - denen es besser geht, schon voriges Jahr von sich aus auf die Teilnahme verzichtet haben. Das finde ich das Wunderbarste von allem.
Wir haben voriges Jahr beim HöVi-Dorf wirklich die Kinder gehabt, denen die Augen strahlen. Ich war vor kurzem unterwegs, plötzlich kommen drei Kinder aus einer Tür rausgestürzt und schreien, "Du bist doch auch von HöVi-Land!" Und ich sage, "Klar." Und so ist das bei uns. Als Pastor ist man "von HöVi-Land". Und dann fragten sie, "Ist denn dieses Jahr HöVi-Land?" Ja, sage ich, es wird was sein.
Aber es ist noch nicht so, wie es vorher 25 Jahre lang war. Wir haben ja jetzt Nummer 27, allerdings ist es größer. Das Dorf wird also größer. Wir haben noch weitere Standorte gewinnen können.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie haben durchaus davon profitiert, dass viele gesagt haben, wir ziehen uns freiwillig zurück. Sie mussten dann nicht selbst entscheiden und sagen, diese Kinder können jetzt nicht mitmachen?
Meurer: Natürlich war irgendwann die Zahl erreicht. Voriges Jahr waren gut 200 Kinder dabei. Dieses Mal werden es mehr sein, weil wir weitere Standorte gewonnen haben. Auf Schulhöfen dürfen wir Container nutzen.
Das Problem ist ja, die Kinder dürfen sich untereinander, die einzelnen Gruppen, nicht begegnen. Das heißt, jede Gruppe ist sozusagen für sich. Wie so ein altes gallisches Dorf ganz isoliert. Und per Fernsehen, also per Videoschalte, gibt es dann gemeinsame Veranstaltungen.
Allerdings dürfen wir jetzt auch auf den alten HöVi-Land-Platz. Da dürfen Spiele stattfinden. Wir halten uns genau an die Vorschriften der Stadt und der katholischen Jugendagentur. Und das ist ja ein bisschen in Bewegung, zum Beispiel war die Ausbildung der Gruppenleiterin und Gruppenleiter hauptsächlich über Videokonferenz.
Aber voriges Wochenende konnten die in der Kirche und um die Kirche rum - mit großem Abstand natürlich, den Corona-Regeln folgend - sich auch in den einzelnen Betreuungsgruppen treffen. Das war also voriges Jahr nicht möglich.
DOMRADIO.DE: Viele Ehrenamtliche sind jedes Jahr bei HöVi-Land engagiert und da reden wir dann von mehreren Hundert, die beim Aufbau, bei der Betreuung helfen. Es wird viel gespendet - Geld, Sachspenden, Lebensmittel. Wie sieht das in diesem Jahr aus?
Meurer: Ja, es ist eigentlich so, dass wir dieses Jahr zu viele haben, die sich engagieren wollen. Ist ja klar. Wir haben zum Beispiel gesagt, die Kindergärten machen nicht mit. Früher waren ja auch die Kindergärten, also die Ältesten dabei. Die machen jetzt praktisch ihr Programm bei sich im Kindergarten, sind also nicht an die HöVi-Land-Organisation angedockt. Haben zwar auch Kontakt, da ist ja klar, man macht auch das eine oder andere Spiel zusammen oder ein Thema. Dadurch fallen schon mal Kinder weg.
Dann gibt es keine Jugendwoche. Das ist natürlich besonders hart, weil die Jugendlichen sind dann Kanufahren gegangen und solche Sachen, wobei wir mit guten Preisen unterstützt worden sind. Aber uns war am Wichtigsten, die Ausbildung der jungen Menschen auf keinen Fall aufzugeben, denn das ist ja der größte Profit, der größte Vorteil für unser Viertel. Wenn die jungen Menschen sagen, ich bin Vorbild der Kinder - mit 16, 17, 18 - und zwar das ganze Jahr über, wenn die sich auf der Straße sehen, das ist ja unser Verhalten gegen Verwahrlosung.
Es gibt ja schließlich die ökumenische Familienwerkstatt, HöVi-Land ist ja Ökumene pur mit über hundert Angeboten, das ganze Jahr über. Und das ist nicht aufgegeben worden. Das heißt, bei uns gibt es ja auch sonntags eine Familienralley, es gibt die Familientüten, wo man basteln kann. Es gibt auch die Lernfüchse für Kinder, die zuhause nicht lernen können. Die sind dann in ganz kleinen Gruppen, in großen Räumen, machen da ihre Hausaufgaben.
Selbstverständlich haben wir Laptops zur Verfügung gestellt, auch in größerem Rahmen, nicht nur 10.000, sondern auch mit insgesamt über 30 000 Euro. Also wir versuchen auch sozusagen Querarbeiten mit den Schulen zusammen zu machen. Und unsere Überschrift ist eigentlich: Ökumene ist jetzt das Geheimnis für arme Kinder.
DOMRADIO.DE: Die Pandemie nervt uns alle, jeder ist in irgendeiner Form betroffen. Wie sieht das nach anderthalb Jahren Pandemie bei sozial schlechter gestellten Familien in Ihren Stadtteilen aus?
Meurer: Ja, das ist sehr schwierig. Aber wir versuchen ja auch, Dinge nach außen zu bringen. Zum Beispiel: Der Stadtanzeiger hatte jetzt eine Geschichte über eine Familie mit fünf Kindern, die aber nicht von Sozialhilfe leben, wo der Vater als Gabelstaplerfahrer arbeitet. Wenn er nichts tun würde, bekämen die genauso viel Sozialhilfe. Und das Echo darauf ist unglaublich. Die Kinder haben dann gesagt: Wir träumen davon, mal einen Geburtstag im Phantasialand zu sein - was ich gar nicht kapiert habe, denn wenn man selber Geburtstag hat, kommt man da unentgeldlich rein - und wo die anderen dann mitgehen können. Da kam so viel inzwischen, die könnten jetzt zehnmal zum Phantasialand gehen, nehmen aber andere Kinder mit.
Das heißt, bei uns ist das alles ein bisschen verdreht. Wir machen zum Beispiel diese Woche zum 64. Mal eine Wochenandacht. Die wird an 900 Menschen verschickt. Die können Sie auch im Internet lesen. Aber die schreibe doch nicht ich, die schreibt immer ein anderer Mensch von 15 bis 93 Jahre. Und dadurch gibt es viele die sagen, so viel Zusammenhalt wie jetzt in Corona-Zeiten hatten wir doch vorher gar nicht.. Das ist ein Phänomen wo ich nur sagen kann, da bin ich natürlich unglaublich froh und dankbar.
Das Interview führte Carsten Döpp.