Thierse erinnert an Deutschlandbesuch von Johannes Paul II.

"Er war kein Papst, der mir irgendetwas dozierte"

Vor 25 Jahren besuchte Papst Johannes Paul II. Deutschland. Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse erinnert sich an die Tage im Jahr 1996. Dem Katholiken und früheren ZdK-Mitglied bleibt besonders die persönliche Begegnung im Gedächtnis.

Papst Johannes Paul II. auf Deutschlandbesuch 1996 (KNA)
Papst Johannes Paul II. auf Deutschlandbesuch 1996 / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Es gibt Ereignisse, die einem in Erinnerung bleiben, als wären sie gestern gewesen. Gehört der Papstbesuch von 1996 mit dazu?

Wolfgang Thierse (SPD-Politiker und ehemaliger Bundestagspräsident, früheres Mitglied im Zentralkomitee deutscher Katholiken / ZdK): Ja und nein. Natürlich erinnere ich mich daran, aber ich habe zwei andere, viel intensivere Erlebnisse und Erinnerungen an diesen Papst.

Erstens die Erinnerung an seinen Auftritt in Polen im Juni 1979. Über das Westfernsehen konnten wir und ich als DDR-Bürger seinen Auftritt vor einer Million Polen sehen. Und da fiel unter anderem der Satz: "Habt keine Angst". Das ging mir - und ich glaube vielen anderen auch - durch Mark und Bein. Das war die Ermunterung, sich sozusagen nicht nur unterzuordnen, sondern den Mut zur Freiheit zu finden. Das gehört zur Vorgeschichte der friedlichen Revolution, der Überwindung des Ost-West-Gegensatzes und damit auch der Einheit Deutschlands.

Wolfgang Thierse / © Christoph Soeder (dpa)
Wolfgang Thierse / © Christoph Soeder ( dpa )

Und zweitens hatte ich das Glück gehabt, mit Papst Johannes Paul II. in einer Privataudienz zu sprechen und wirklich das zu erleben, was man zurecht sagt: Seine Art von Aufmerksamkeit, von persönlicher Zuwendung, das besondere Charisma dieses Papstes zu erleben, das sind die viel intensiveren Erinnerungen.

Aber trotzdem war das ein wichtiges Datum. Der Papst, der so zur Überwindung des Ost-West Gegensatzes, zur friedlichen Revolution, zur Einheit Deutschlands beigetragen hat, geht durch das Symbol der Einheit, das Brandenburger Tor, das ein Symbol der Einheit war, weil es auch ein Symbol der Spaltung war. Dort ging die Mauer entlang. Und jetzt geht er da durch und das war schon ein gutes und wichtiges Bild.

DOMRADIO.DE: Wissen Sie noch, worüber er damals gesprochen hat?

Thierse: Nein, er ging ja dort mit Kanzler Kohl durch und der Regierende Bürgermeister von Berlin, Diepgen, war mit dabei. Das war ein wichtiges Bild. Und wir leben ja in einer Welt der Bilder.

In den Gesprächen mit ihm, wenn ich mich daran erinnern darf, erzählte er mir von seinen Besuchen in Osteuropa. Er kam gerade von einem Besuch in der Slowakei. Wir redeten über Christen in der DDR, über das Leben in der DDR, von Christen, von Katholiken insgesamt und was sich gewandelt hat und so weiter. Er war kein Papst, der mir irgendetwas dozierte, sondern wir führten ein richtiges Gespräch: Er fragte, er war interessiert, das ist ja nicht selbstverständlich.

DOMRADIO.DE: Erinnern Sie sich an das Gefühl, mit den anderen Menschen zusammen diesen Papstbesuch erlebt zu haben?

Thierse: Das kann nur jeder für sich selber sagen. Bei kollektiven Gefühlen bin ich immer etwas skeptisch. Aber natürlich gab es unter den katholischen Christen, aber ich glaube auch unter den protestantischen Christen, viele, die diesen Papst hoch willkommen geheißen haben, für die er sozusagen ein wichtiger Repräsentant nicht nur der Christenheit, sondern auch eben dieser geschichtlichen Veränderung war. Ich vermute, das werden andere so ähnlich gespürt haben wie ich.

DOMRADIO.DE: War der Papst zu dem Zeitpunkt schon durch die Parkinsonsche Krankheit beeinträchtigt?

Thierse: Weniger als später dann. Das wurde ja immer schlimmer und man merkte es ja immer sichtbarer. Da war noch ein ganz stattlicher Mann, um es so zu sagen. Natürlich nicht so stattlich wie Helmut Kohl.

DOMRADIO.DE: Was haben Sie noch besonders an diesem Papst geschätzt?

Thierse: Die Weltzugewandtheit, er ist ja unerhört viel gereist. Er war ja fast überall in der Welt, weil er sagte: Ich kann doch da nicht hinter den Mauern des Vatikans hocken bleiben. Dies ist eine Weltkirche, die ich als Person repräsentiere.

Auch seine durchaus entschiedene Kritik an fatalen Entwicklungen des Kapitalismus ist weiter zu nennen. Er war einer der großen Kapitalismuskritiker zu einem Zeitpunkt, wo durch den Untergang des Kommunismus, der sogenannten "Alternative", der Kapitalismus fast heiliggesprochen war. Da war er einer, der die Fehlentwicklungen kritisierte, die Ungerechtigkeit, die mit dieser Welt verbunden ist.

Aber natürlich war er auch ein theologisch und kirchenpolitisch durchaus konservativer Papst, der auch manche Entscheidungen getroffen hat, auch personelle Entscheidungen, die man nicht verstanden hat oder die ich selber kritisch sehe.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Papst Johannes Paul II.

Am 16. Oktober 1978 war der Krakauer Kardinal Karol Wojtyla im Konklave zum Papst gewählt worden. Der damals 58-Jährige war der erste Nicht-Italiener auf dem Papstthron seit 1523 und wählte den Namen Johannes Paul II. Seine Inthronisation fand am 22. Oktober 1978 statt.

Papst Johannes Paul II. in Polen im Jahr 1979 / © KNA-Bild (KNA)
Papst Johannes Paul II. in Polen im Jahr 1979 / © KNA-Bild ( KNA )
Quelle:
DR