DOMRADIO.DE: Im Domforum startet die Ausstellung "Der Kölner Dom und die Juden. Zur christlichen Sicht auf das Jdentum". Die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ist an der Ausstellung beteiligt. Was sind das für Darstellungen im Kölner Dom, um die es in der Ausstellung geht?
Prof. Jürgen Wilhelm (Vorsitzender Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit): Die Diskussion um diese Artefakte, die sich an verschiedenen Stellen im Dom befinden, hat vor gut zehn Jahren begonnen. Die bekannteste, berüchtigste ist eben die am Chorgestühl, die Judensau, die man sehr gut erkennen kann, wenn man die Stelle kennt. Sie ist nicht so riesig groß, aber sie ist schon so deutlich zu sehen. Dann gibt es noch aus den 60er Jahren ein Kinderfenster, also weder aus der Nazizeit oder dem Mittelalter.
An einigen anderen Stellen gibt es auch entsprechende diskriminierende Darstellungen in Fenstern, beispielsweise von Juden, die zum Teil mittelalterlich, aber eben zum Teil bis in die Neuzeit hineinreichen. Das ist in einem sehr üppigen und wissenschaftlich fundierten Band aufgearbeitet worden. Und dabei blieb es, aber das wollten wir nicht, dass es dabei blieb.
DOMRADIO.DE: Jetzt könnte man fragen: Warum nicht einfach weg damit?
Wilhelm: Die Frage ist naheliegend und sie wäre auch sicher medial sehr attraktiv. Aber wir haben uns, ich sage es jetzt mal ein bisschen polemisch, gegen die Bilderstürmerei entschieden. Wir sind die Arbeitsgemeinschaft, die vom früheren Dompropst Bachner und von unserer Christlich-Jüdischen Zusammenarbeit ins Leben gerufen wurde. Wir haben uns dagegen entschieden, weil wir an nachhaltiger Aufklärung, wenn Sie so wollen, Information und Bildung über dieses Phänomen, das ja ein antijudaistisches oder - heute würde man eher sagen - antisemitisches ist, interessiert sind.
Die Menschen sollen sich damit auseinandersetzen. Wenn wir diese Artefakte entfernen, hat das eine große mediale Auswirkung und nach 24 Stunden ist dieser mediale Effekt vorüber. Jetzt stellen wir Flyer her und werden die Domführer unterrichten. Sie können, müssen aber nicht, dieses Thema ansprechen, auf die Problematik aufmerksam machen und sie in Zusammenhang stellen. So erreichen sie dadurch hoffentlich tausende Menschen im Laufe der Jahre, die sich mit diesem Antisemitismus oder Antijudaismus in christlichen Kirchen kritisch auseinandersetzen. Das schien uns wertvoller.
DOMRADIO.DE: Also das ist die Lösung: Das Problem offensiv ansprechen, angehen.
Wilhelm: Ja, absolut. Das ist das, was wir auch mit der Ausstellung, die gerade eröffnet wird, machen. Das ist die Idee dabei, öffentlich und offen damit umzugehen. Ich muss sagen, ich bin Dompropst Bachner und auch anderen im Domkapitel sehr dankbar für diesen Weg. Auch zum Beispiel Herrn Füssenich (Kölner Dombaumeister, Anm. d. Red.), der von Anfang an diesen Weg mitgegangen ist. Ich gestehe, dass ich vor dem ersten Gespräch vor einigen Jahren skeptischer hinsichtlich der Herangehensweise war. Aber da ist doch eine offene, ich sage mal, auch aufklärerische Note deutlich von der katholischen Kirche gekommen. Und das begrüße ich sehr.
DOMRADIO.DE: In der Ausstellung "Der Kölner Dom und die Juden" geht es um die christliche Sicht aufs Judentum. Was wird da konkret zu sehen sein?
Wilhelm: Man wird schon auch die Texte lesen und sich mit der christlichen Theologie, sowohl der katholischen als auch der protestantischen, auseinandersetzen müssen. Diese war ab dem 16. Jahrhundert durchgängig antijudaistisch und auch judenfeindlich. Das wird man auch mit Darstellungen zeigen können, die über das, was wir eben besprochen haben, hinausgehen.
Man geht das Thema einfach offensiv an. Man bespricht, warum das überhaupt theologisch begründet ist, obwohl wir doch sozusagen gemeinsame Wurzeln haben. Denn bekanntermaßen, es sei immer und immer wieder gesagt, Jesus war eben Jude, bevor er dann griechisch Christus wurde.
DOMRADIO.DE: Es gibt einen ganz interessanten Aspekt, speziell auf die Kölner Juden bezogen. Denn im 19. Jahrhundert waren es vor allen Dingen jüdische Familien, die mit ihrem Geld möglich gemacht haben, dass der Dom zu Ende gebaut werden konnte.
Wilhelm: Ja, und der "Fertigsteller" des Doms, Herr Zwirner, der damalige Dombaumeister, hat damals die Synagoge, die die Nazis dann am 9. November 1938 angezündet haben, in der Glockengasse gebaut. Ein Hinüber und Herüber gab es ja, Gott sei Dank, immer. Aber die institutionelle Judenfeindlichkeit und auch der Versuch beider Kirchen, sie immer wieder theologisch zu begründen, ist eben auch ein historisches Faktum.
DOMRADIO.DE: Der kirchliche Antijudaismus gilt als Wegbereiter des aktuellen Antisemitismus. Warum diese Auseinandersetzung erst jetzt? Wäre es nicht viel besser gewesen, das schon viel früher anzugehen?
Wilhelm: Ja, sicher, natürlich. Man hätte alles viel früher machen können. Das gilt für viele Bereiche. Das gilt vor allen Dingen für die Aufarbeitung der Nazizeit. Aber wir haben es hier nicht nur mit einem klassischen Holocaust-Thema zu tun. Was soll ich dagegen sagen? Besser jetzt als niemals.
Natürlich hat es Jahrzehnte gedauert, aber die Bereitschaft ist jetzt da und die Menschen müssen sich jetzt mit dem Thema auseinandersetzen. Da Antisemitismus, wie wir leider feststellen, seit einigen Jahren eine schreckliche Aktualität hat, ist dieser Zeitpunkt vielleicht gar nicht der schlechteste.
Das Interview führt Hilde Regeniter.