Ingo Brüggenjürgen (DOMRADIO.DE-Chefredakteur): Sie gelten als jemand, der vielen Menschen Mut gemacht hat. Können Sie das nachvollziehen?
Annette Schavan (ehemalige Bundesministerin und Botschafterin beim Heiligen Stuhl): Das hat ein bisschen mit den Aufgaben zu tun gehabt. Ich habe mich immer wieder mit Bildung beschäftigt. Ich glaube, das ist ein Mut machender Blick auf die Talente von Menschen, auf Möglichkeiten und darauf, Menschen zu ermutigen, mal dieses und jenes zu versuchen. Ich war in der Begabtenförderung tätig, habe viele junge Leute kennengelernt, die sich engagieren, die das Gemeinwesen im Blick haben, die nicht nur ihre eigene Biografie oder ihren eigenen Weg im Blick haben. Wer sich mit Bildung beschäftigt, beschäftigt sich mit den Talenten von Menschen, beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, die Menschen haben.
Im Übrigen bin ich Rheinländerin und die sind ja eigentlich schon von Geburt zuversichtliche Menschen.
Brüggenjürgen: Woher nehmen Sie selbst Ihren Mut, wenn es Rückschläge gibt?
Schavan: Ich mache mich daran fest, dass schwierige Situationen irgendwann ein Ende haben und es neue Möglichkeiten gibt. Es gilt dann, eine neue Zuversicht zu entwickeln. Natürlich hat das auch mit meiner Überzeugung zu tun, dass jeder Mensch aufgehoben ist und es einen gibt, der uns nicht nur geschaffen hat, sondern uns auch für alles Kraft gibt. Wenn ich glaube, dass ich für dieses und jenes keine Kraft habe, dann ist diese Erinnerung gut: Auch zu dem Schwierigen wird dir die Kraft gegeben, die du brauchst.
Brüggenjürgen: Sie haben sich viel in der Kirche engagiert, unter anderem im Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Was war es, was Sie bewegen wollten?
Schavan: Ich wollte mich dafür einsetzen, dass Kirche diese Botschaft überzeugend verkörpern kann, dass man Räume schafft, in denen mit Zuversicht gelebt werden kann und in denen es eine Ahnung vom Leben in Fülle gibt. Ich wollte, dass die Kirche nicht so eine Tristesse verbreitet, sondern etwas von der Schönheit des Glaubens vermittelt. Die Kirche und 2.000 Jahre Christentum sind ja verbunden mit unglaublich viel Schönheit: wenn man an Liturgie denkt, wenn man an die Kunst denkt. Das habe ich in meinen römischen Jahren ganz besonders genossen: diese viele Kunst, die vielen Bilder, die Zeugnis von dieser wunderbaren Botschaft geben.
Deshalb bin ich heute manchmal enttäuscht und frage mich: Wie werden wir in der Kirche die Tristesse wieder los, die sich überall breitgemacht hat? Kirche ist nicht dazu da, Tristesse zu verbreiten. Sie ist nicht dazu da, das Leben noch schwerer zu machen, als es sowieso ist. Etwas von der Heilsamkeit der Botschaft muss deutlich werden. Das muss unser Bemühen in allem Engagement sein.
Brüggenjürgen: Was geben Sie den jungen Leuten mit, denen es derzeit schwerfällt, sich in der Kirche zu engagieren – vielleicht auch gerade den Frauen?
Schavan: Ich gebe den einen wie den anderen mit auf den Weg: nicht verzagen an dem, was im Moment schwer ist. Es ist eine schwere Phase. Ob es geplant ist oder nicht, ob es jemand will oder nicht: Die Kirche wird sich verändern und das Christentum wird neue Wege gehen. Diese neuen Wege zu finden und diese neuen Wege zu gehen, das sollten wir immer wieder versuchen. Wir sollten uns nicht an den Ärgernissen abarbeiten und uns nicht jeden Tag mit den Ärgernissen beschäftigen.
Was wir wissen müssen ist, dass dahinter eine Botschaft steckt, die für diese Welt unglaublich wichtig ist. Dahinter steckt eine Weltkirche auf fünf Kontinenten, die enorm viel tut und die gleichsam den Menschen verteidigt. Sie trägt die Sorge dafür, dass der Mensch nicht unter die Räder gerät. Wir müssen uns von den Momentaufnahmen unabhängig machen und gleichsam die weite Reise im Blick haben.
Brüggenjürgen: Wenn man Botschafterin beim Heiligen Stuhl war: Bleiben Sie da auf dem Laufenden, wie im Vatikan agiert wird?
Schavan: Ich bekomme natürlich nicht so viel mit wie in den vier Jahren, in denen ich in Rom war. Was mir geblieben ist und was ich sehr genau beobachte, ist dieses Weltkirche-Sein. Das ist das Besondere der katholischen Christenheit. Sie ist vielfältig auf fünf Kontinenten präsent – mitten in den Gesellschaften. Das heißt, Rom und der Vatikan wissen mehr über diese Gesellschaften als jede andere Institution. Und ja, die Kirche ist vielfältiger, als sie uns scheint. Das macht mir Mut: genau zu wissen, dass die Kirche vielfältiger ist, als wir uns das an dieser und jener Stelle vorstellen können.
Es gibt Regionen der Welt, da wächst die Kirche. Es gibt Regionen der Welt, da spricht man von einem Aufbruch des Christentums. Es ist nicht nur wichtig, was bei uns ist. Ich muss nicht nur auf uns schauen. Dieser Blick, der hat mir sehr viel Kraft gegeben.