DOMRADIO.DE: Sie waren vor Ort in Erftstadt, Leverkusen, Düsseldorf und anderen vom Hochwasser betroffenen Orten im Erzbistum Köln. Was haben Sie da gesehen und erlebt?
Rainer Maria Kardinal Woelki (Erzbischof von Köln): Wir kennen alle diese furchtbaren Bilder der Flut. Es war einfach schrecklich zu sehen, wie Menschen innerhalb weniger Sekunden alles verloren haben. Viele standen vor mir mit Tränen in den Augen. Sie waren völlig fassungslos, wie das Wasser gekommen ist, wie es ihre Wohnungen vernichtet hat. Und viele sagten: Unser ganzes Lebenswerk ist zerstört. Wir sind jetzt 75 oder 80 Jahre alt und haben mit einem Mal alles verloren.
Ich habe Menschen in Monheim besucht, die in einem Hotel untergebracht waren, die eigentlich aus dem Elisabeth-Altenheim in Leverkusen kommen. Die sagten: Wir haben das schon mal erlebt, als wir Kinder waren. Damals, als Krieg war und wir auf einmal alles verloren hatten. Jetzt ist das ein zweites Mal passiert. Das einzige, was wir wirklich jetzt noch erhalten konnten, ist unser Leben.
Beeindruckend war aber auch die große Hilfsbereitschaft. Von jungen Menschen, von der DPSG, von den Ministranten, der KJG, aber auch von älteren Menschen. Da hat keiner mehr gefragt: Kennst du den? Kennst du jenen nicht? Die Menschen sagen: Wir sind auf einmal ganz neu wieder zusammengerückt. Wir kannten uns lediglich von der Straße her. Wir sind sonst aneinander vorbeigegangen. Jetzt kennen wir uns mit dem Vornamen. Wir grüßen uns, wir sprechen miteinander. Es ist also ein Zusammenrücken erfolgt. Und was Mut macht ist, dass eine neue Form der Menschlichkeit - der Mitmenschlichkeit - feststellbar ist.
DOMRADIO.DE: Was haben Sie gesehen vor Ort? Einige Orte sind nicht mehr wiederzuerkennen.
Woelki: Ich bin bewusst nicht in diese eigentlichen "Krisenregionen" gegangen, also dorthin wo die großen Zerstörungen sind, um die Rettungen und die Arbeit der Katastrophen-Kräfte, der Feuerwehr und anderer nicht zu behindern und auch, um die Seelsorge der Notfallseelsorger nicht zu behindern. Sondern ich bin dorthin gegangen, wo die Menschen jetzt einfach Trost und Zuspruch brauchten. Ich war in Erftstadt, wir haben da den Gottesdienst gefeiert. Ich habe mit Menschen gesprochen, die ihr Haus verloren hatten und die jetzt im Pfarrheim übernachteten und dort die Hilfen der Gemeinden erfahren haben. Das war wichtig, dass man ihnen zuhört, dass sie einfach erzählen konnten. Das ist vor allen Dingen jetzt mein Dienst gewesen.
DOMRADIO.DE: Es gibt große Hilfsleistungen aus dem Inland und Ausland. Das Erzbistum Köln stellt im ersten Schritt 100.000 Euro zur Verfügung. Können Sie schon sagen, was mit dem Geld passieren wird?
Woelki: Das war natürlich auch eine spontane Reaktion. Ich habe gleich mit dem Generalvikar gesprochen und habe nachgefragt: Was können wir tun? Wir haben dann eben 100.000 Euro aus Sondermitteln zur Verfügung stellen können. Die werden wir in den Fonds unserer Flüchtlings- und Nachbarschaftshilfe hineingeben, den Fonds, den wir alle kennen aus der Aktion "Neue Nachbarn". Das hat sich bewährt. Da weiß man, wie man mit Geldern umgehen kann. Vor allen Dingen, wie man die schnell dorthin transferieren kann, wo die Not am größten ist. Und das soll jetzt mit diesen Mitteln als erstes geschehen. Dass wir Menschen helfen, die ohne Obdach sind. Dass wir Menschen helfen, Schaufeln, anzuschaffen das Anmieten von schwerem Gerät, Stiefeln, Schubkarren - all das, was gegenwärtig benötigt wird, um Wohnungen wieder so weit, wie es überhaupt möglich ist, bewohnbar zu machen. Um Straßen und Keller wieder freizubekommen. Also Gelder, die notwendig sind, um Pumpen anzuschaffen, damit Wasser abgepumpt werden kann.
DOMRADIO.DE: Wie sieht es denn mit den Kirchen aus? Man sieht Bilder von überfluteten Kirchgebäuden oder Gemeindesäälen.
Woelki: Ich habe darüber noch gar nicht so große Nachrichten erhalten. Wir haben uns jetzt vornehmlich erst einmal um die Menschen gesorgt und gekümmert, die Haus und Hof verloren haben. Wir haben vor allen Dingen versucht, hier für diese Menschen da zu sein.
Unsere Experten sind jetzt auch dabei wahrzunehmen, was an kirchlichen Gebäuden kaputtgegangen ist. Natürlich weiß ich, dass Pfarrhäuser zerstört oder bzw. die Keller zumindest voll gelaufen sind. Natürlich sind auch Pfarrheime geschädigt worden. Das Haus Altenberg hat einen Schaden abbekommen. Und es gibt Schulen, die Schäden davongetragen haben. Insbesondere das St-Angela-Gymnasium in Bad Münstereifel. Das ist so schwer geschädigt, dass jetzt schon klar ist, dass nach den Sommerferien dort kein Präsenzunterricht stattfinden kann, sondern tatsächlich erst einmal digital die Dinge wieder weiter gehen müssen. Unsere Schulabteilung kümmert sich sehr darum und die Schulgemeinde ist darüber auch schon informiert. Auch andere Schulen, wie die Marienschule in Opladen oder das Ursula-Gymnasium in Brühl und die Elisabeth-von-Thüringen-Realschule in Brühl haben schwere Schäden abbekommen. Aber dann doch nicht so, dass wir doch davon ausgehen können, dass nach den Sommerferien dort der Unterricht in Präsenz stattfinden kann.
Ich weiß von der einen oder anderen Kapelle, auch in Bad Münstereifel, die schweren Schaden genommen hat. Aber ich glaube, die Stiftskirche und auch die Pfarrkirche in Bad Münstereifel sind verschont geblieben. Es sind sicherlich überall Schäden, auch mit Blick auf die Elektrik. In vielen Kirchen ist der Strom dann auch nicht mehr gegeben. Aber ich kann jetzt mit Blick auf die Kirchen selber noch nichts sagen.
DOMRADIO.DE: Das wird sich dann mit der Zeit zeigen. Wir hoffen das Beste für die Menschen.
Woelki: Ich bin wirklich ganz beglückt über die riesige Hilfsbereitschaft und das Zueinander und das Miteinander der Menschen. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.