In seiner Gebetsmeinung für den August lädt Papst Franziskus dazu ein, für die Erneuerung der Kirche zu beten. Das erinnert an die geheimnisvollen Worte, die der heilige Franziskus von Assisi im Jahr 1205 vor dem Kreuz in der Kirche San Damiano hörte: "Baue mir meine Kirche wieder auf! Siehst du nicht, wie sie zerfällt?"
Kirche "an totem Punkt"
Die Kirche droht heute unter den Skandalen sexualisierter Gewalt und anderer Skandale zu zerfallen. Die Austrittszahlen erreichen Rekordhöhen. Kardinal Reinhard Marx sprach in seinem Rücktrittsbrief an Papst Franziskus von einem "toten Punkt", an dem die Kirche angelangt sei.
Damit zitierte er aus den Gefängnisschriften des Jesuiten Alfred Delp, der vor seiner Hinrichtung am 2. Februar 1945 einen eindrücklichen Text über "Das Schicksal der Kirchen" geschrieben hatte. Allerdings verlieh Delp auch seiner österlichen Hoffnung Ausdruck, dass dieser tote Punkt zu einem Wendepunkt werden kann.
Ähnlich hat das der Philosoph Eugen Rosenstock-Huessy am Anfang des 20. Jahrhunderts ausgedrückt: "Ja, das Christentum ist heute bankrott. Aber nicht widerlegt. Das Christentum ist verschiedentlich bankrott gewesen. Wenn es bankrott macht, beginnt es von vorne. Darin liegt seine Kraft."
Zurückgehen zum Evangelium
Erneuerung der Kirche ist nichts anderes als ein Zurückgehen zum Evangelium, um dann von vorne zu beginnen. Dazu sind nicht nur die Amtsträger, sondern jeder Christ und jede Christin aufgerufen. Erneuerung der Kirche heißt, zu Jesus und zu seiner Verkündigung des Reiches Gottes zurückzukehren. So stellt Papst Franziskus die Gebetsmeinung unter die größere Überschrift der Ausbreitung des Gottesreichs.
Das Reich Gottes, das Jesus in Worten und Taten verkündigte, war in erster Linie für die Armen bestimmt. Er pflegte bevorzugt Gemeinschaft mit den gesellschaftlich Verachteten und Geächteten: mit Zöllnern und Sündern, mit Prostituierten und Leprakranken. Er erkannte mit einer tiefen inneren Freude, dass sich darin der Heilsplan Gottes verwirklicht: Seine frohe Botschaft bleibt den Weisen und Klugen verborgen, die Unmündigen und Kleinen dagegen verstehen sie und nehmen sie auf.
Den letzten Platz einnehmen
Auch für seine Jünger war dies eine Herausforderung und ein Lernprozess. Immer wieder stritten sie untereinander, wer der Größte sei. Darin kommt eine menschliche Grundversuchung zum Ausdruck: größer, mächtiger, besser sein zu wollen als die anderen. Bis heute ist die Wurzel von vielerlei Gewalt das Streben nach Macht.
Diesen Teufelskreis hat Jesus durchbrochen. Für ihn bedeutet groß zu sein: zu dienen, sich klein zu machen, den letzten Platz einzunehmen. Er hat dies selbst vorgelebt und wiederholt verdeutlicht in seiner besonderen Zuwendung zu den gesellschaftlichen Randgruppen.
Dienende Kirche
Erneuerung der Kirche bedeutet, dass sie zu einer dienenden Kirche und damit Jesus ähnlich wird: dass sie nicht ihr eigenes Leben und Überleben als Institution sucht, sondern aufgeht im Dienst an der Welt und den Menschen.
Erneuerung der Kirche bedeutet, dass die Armen die ersten Plätze einnehmen. Es bedeutet, dass die Kirche nach unten geht und auf das Volk hört. Erneuerung der Kirche bedeutet, die Laien aktiv in die Liturgie und auch in ihre Leitungsstrukturen einzubeziehen.
Barmherzigkeit als oberstes Prinzip
Erneuerung der Kirche bedeutet, dass sie nicht nach Macht und Kontrolle strebt, sondern Barmherzigkeit zum obersten Prinzip ihres Handelns macht. Dazu gehört auch ihre prophetische Rolle, Unrecht beim Namen zu nennen und Ungerechtigkeit anzuprangern.
Im Geist des heiligen Oscar Romero muss sich die Kirche zur Stimme derjenigen machen, die keine Stimme haben. Sie darf auch Konflikte mit den Mächtigen nicht scheuen und muss bereit sein, ihre eigenen Interessen und Privilegien aufs Spiel zu setzen.
Erneuerung der Kirche bedeutet, dass sie für sich selbst das Geheimnis vom Weizenkorn ernst nimmt, das in die Erde fallen und sterben muss, um reiche Frucht zu bringen.
Von Martin Maier SJ