DOMRADIO.DE: Bundesumweltministerin Schulze warnt, dass der Planet in Lebensgefahr schwebe. Was sagen Sie zu diesem Ergebnis?
Kathrin Schroeder (Referentin für Energiepolitik und Globale Zukunftsfragen im bischöflichen Hilfswerk Miserior): Da muss man leider sagen, dass Frau Schulze Recht hat.
DOMRADIO.DE: Wie erschreckend finden Sie das, was der Weltklimarat jetzt vorgestellt hat?
Schroeder: Es ist wirklich erschreckend, aber das sind natürlich Informationen, die wir schon seit einigen Jahren kennen. Es ist nur mit dem neuen Teil des Sachstandsberichts, der heute veröffentlicht wurde, nochmal präziser geworden. Die Fakten sind stärker gesichert, als es bei den vorangegangenen Berichten war.
DOMRADIO.DE: Misereor kümmert sich um Menschen in vielen Teilen der Welt. Was sind denn die Folgen des Klimawandels, die Sie in den Gebieten, in denen Sie aktiv sind, feststellen?
Schroeder: Wir sehen in den unterschiedlichen Regionen, in denen wir Partner haben, zum Beispiel die Häufung von Trockenzeiten, die Unberechenbarkeit vom Wetter, was eigentlich in der Region normal wäre. In Indien fällt der Monsun mal schwächer aus, mal kommt er früher. Es ist vor allem für Kleinbauern schwieriger geworden, Landwirtschaft zu betreiben, wie es ihre Vorfahren taten. Und auf der anderen Seite merken wir in vielen Regionen, dass der Anstieg des Meeresspiegels große Städte bedroht - und da natürlich auch alle Bevölkerungsgruppen.
DOMRADIO.DE: UN-Generalsekretär Guterres fordert die Politik zu raschem Handeln auf. Was wäre denn Ihrer Meinung nach eine wirkungsvolle Notbremse in Sachen Klimapolitik?
Schroeder: Das Gute ist ja, dass die Lösungen alle schon auf den Tisch legen. Wir kennen die schon alle. Bei der Pressekonferenz hat Hoesung Lee, der Vorsitzende des IPCC, zum Beispiel darauf verwiesen, dass viele indigene Völker klimaschonende Landwirtschaft schon seit Jahrtausenden betreiben. Und deren Wissen kann uns in der Zukunft helfen. Also die Antwort auf die Frage, wie wir morgen und am besten heute schon Landwirtschaft betreiben, wissen wir eigentlich schon. Wir müssen nur beginnen und natürlich ganz klar fossile Energien abschaffen. Wir müssen raus aus Kohle, Öl und Gas. Die Energie- und Verkehrswende muss weltweit vorangetrieben werden. Die Co-Vorsitzenden der Arbeitsgruppe 1, die den Bericht vorgestellt hat, hat gesagt: Na klar, die Erde hat sich rasend schnell erwärmt. Aber es ist möglich, diese Erwärmung zu verlangsamen und die damit verbundenen Folgen zu mildern. Aber dafür müssen wir eben weltweit mindestens Klimaneutralität erreichen. Und zwar ganz schnell.
DOMRADIO.DE: Auf der anderen Seite fordert Guterres die reichen Länder und Entwicklungsbanken auf, mehr Geld für die Anpassung an den Klimawandel in ärmeren Ländern zur Verfügung zu stellen. Die Rede ist von 100 Milliarden Euro. Wie kann Geld da helfen?
Schroeder: Wir sehen vor allem, dass bei der Klimafinanzierung, die jetzt natürlich zu wenig ist, aber die ja schon aufgebracht wird, der Großteil in die Treibhausgasminderung geht. Das ist natürlich auch ganz, ganz wichtig. Anpassung ist eben oft etwas, was vielleicht ein bisschen komplizierter ist. Wir sehen zum Beispiel bei der Treibhausgasminderung: Da gibt es Technologien, die haben marktfähige Lösungen. Da kriegen die Investoren auch ihr Geld wieder rein. Da geht viel mehr Geld hinein als in Anpassungsmaßnahmen wie z.B. klimafreundliche Baustoffe, wo man erst mal nicht so genau weiß, wann da der "return of invest" erreicht ist. Und vor allem ist natürlich der Schutz armer Bevölkerungsgruppen, die eh schon wenig Ressourcen haben, etwas, wo man wahrscheinlich weiter mit Geldern arbeiten muss, die nicht zurückgezahlt werden und die nicht an der Börse handelbar sind. Aber ganz wichtig ist auch: Reiche Länder wie Deutschland müssen den globalen Süden unterstützen.
DOMRADIO.DE: In Deutschland wird ja bald gewählt. Auf welchen Punkt im Parteiprogramm sollte man gucken, wenn man klimafreundlich wählen möchte?
Schroeder: Es ist eigentlich ganz gut zu sehen, wenn man sich die Parteiprogramme anschaut, wer wirklich gute Ideen hat, was für ein Detailgrad vielleicht dahinter steckt. Man kann nachgucken, wie die Parteien sich die Landwirtschaft, das Verkehrssystem und das Energiesystem von morgen vorstellen. Und manche gehen da wirklich ins Detail, sodass man sagt: Ja, das kann ich mir auch vorstellen, dass so etwas Treibhausgasminderung bringt. Und bei den anderen bleibt es sehr vage. Da gibt es jetzt ganz verschiedene Onlineangebote, den Klimawahlcheck der Klimaallianz zum Beispiel. Da kann man sich einmal durchklicken und sich sehr gezielt darüber informieren. Das ist, glaube ich, eine gute Idee. Und ich glaube es ist wichtig, dass dieser IPCC-Bericht in Deutschland sehr sorgfältig von den Politikerinnen und Politikern gelesen wird, die dann den Koalitionsvertrag der neuen Regierung aushandeln. Denn ich glaube, es ist auf jeden Fall klar geworden, wie dringend jetzt anders gehandelt werden muss als in der Vergangenheit.
DOMRADIO.DE: Wenn wir nicht nur auf die Politik gucken, sondern auch auf die Kirche, haben Sie den Eindruck, die Kirchen in Deutschland tun genug, um selbst in Sachen Klimaschutz nicht nur Mahner, sondern Vorbild zu sein?
Schroeder: Ganz sicher tun sie noch nicht genug. Man sieht an den Handlungsleitlinien für Schöpfungsverantwortung, die die Deutsche Bischofskonferenz beschlossen hat, dass da viele Teile der Kirche noch einen sehr langen Weg vor sich haben. Aber dadurch, dass wir durch "Laudato si" nochmal einen Schub bekommen haben und eigentlich wissen, welche Handlungsfelder die wichtigen sind, sind auch alle Informationen für die Kirchen da. Man muss jetzt nur anfangen. Und ich glaube, es ist die Zeit vorbei, dass man sagt: Klimaschutz ist für mich das Sahnehäubchen. Es soll, es muss das Normale sein, dass Kirche da auch Verantwortung übernimmt. Bei der Gebäudesanierung, bei der klimafreundlichen Beschaffung und auch bei der ökologischen Verpflegung in kirchlichen Einrichtungen.
Das Interview führte Julia Reck.