DOMRADIO.DE: Die Bilder der Einnahme Afghanistans durch die Taliban und der verzweifelten Menschen am Flughafen von Kabul sind uns alle mehr als präsent. Was ging Ihnen da als erstes durch den Kopf?
Stefan Zekorn (Weihbischof und Beauftragter für Weltkirche im Bistum Münster): Ich habe wirklich gedacht, das kann irgendwie alles nicht wahr sein. Aber natürlich wusste ich, es ist wahr, was man sah und von den Reportern hörte. Bis heute geht mir diese Frage nach. Also nicht, dass es nicht wahr ist, sondern: Wie kann so etwas geschehen? Wie kann es geschehen, dass die USA und die europäischen Länder nach 20 Jahren Aufbauarbeit ein Land so schnell, so chaotisch verlassen? Da habe ich keine Erklärung für. Die kann man jetzt auch, glaube ich, nicht haben.
Aber das muss aufgearbeitet werden. Das ist für die Menschen in Afghanistan eine Katastrophe, jedenfalls für sehr, sehr, sehr viele, Hunderttausende, Millionen. Für die politischen Kräfte, also die USA und unsere europäischen Länder, ist es wirklich ein Desaster, auch was den Vertrauensverlust in der Welt angeht.
DOMRADIO.DE: Nun wird schon diskutiert, karitative Leistungen und Entwicklungshilfe einzustellen, da die Gelder im Endeffekt ja bei den Taliban landen. Ist das der richtige Ansatz?
Zekorn: Es wäre aus meiner Sicht fatal, wenn man jetzt auf Dauer grundsätzliche Entwicklungshilfe einstellen würde, denn die, die darunter leiden, sind die Menschen vor Ort. Klar ist natürlich, dass man jetzt keine Entwicklungshilfe leistet, die Infrastruktur fördert, die am Ende vor allen Dingen dem Staat und damit den Taliban zugute käme.
Aber wenn die Hilfsorganisationen ihre sozialen oder entwicklungspolitischen Projekte, die in der Regel unmittelbar den Menschen vor Ort helfen, aufgeben würden, dann wären die Menschen vor Ort die Leidtragenden. Und das sollte nicht der Fall sein. Die Menschen leiden ja genug im Moment. Also die sollten wir nicht im Stich lassen. Deshalb wäre es wichtig, Entwicklungshilfe, die unmittelbar Menschen vor Ort zugute kommt, auch weiter zu führen.
DOMRADIO.DE: Gemeinsam mit dem Flüchtlingsbeauftragten im Bistum Münster rufen Sie jetzt dazu auf, Flüchtlinge aus Afghanistan auch in Deutschland aufzunehmen. Warum?
Zekorn: Wir glauben, dass es wichtig ist, sich zunächst um die Flüchtlinge zu kümmern. Das gilt natürlich für die, die am Flughafen sind. Das gilt für die Ortskräfte der Bundeswehr. Aber die dürfen nicht vergessen werden: Die Ortskräfte der Hilfsorganisationen. Die verschiedenen NGOs, kirchliche und andere hatten und haben entsprechende Ortskräfte, von denen sehr viele auch gefährdet sind. Auch die darf man jetzt nicht einfach vergessen.
Das nächste ist, dass es wichtig ist, die Nachbarstaaten, bei denen die Flüchtlinge zuerst ankommen, zu unterstützen, dass den Flüchtlingen dort auf eine gute Weise geholfen werden kann. Da gibt es ja wohl auch schon Überlegungen in den Regierungen.
Und dann kann es auch sein, dass es Flüchtende gibt, die nach Europa und Deutschland kommen. Das kann man jetzt alles nicht genau vorhersehen, aber es gibt natürlich eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Und dann müssen wir auch entsprechend dem Asylrecht die, deren Leben bedroht ist, auch aufnehmen.
DOMRADIO.DE: CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet sagt: 2015 darf sich nicht wiederholen. Gemeint sind die großen Flüchtlingsströme, die aus Syrien zu uns gekommen sind. Können Sie diese Ängste und Befürchtungen von Menschen nachvollziehen?
Zekorn: Ja klar, diese spontanen Ängste kann ich natürlich gut nachvollziehen. Wobei ich glaube, dass wir in einer solchen Situation nicht immer auf 2015 schauen müssen. 2015 war in vielfacher Hinsicht eine Sondersituation und wir sollten nicht alles damit vergleichen. Wir müssen vielmehr auf die jetzige Situation schauen. Natürlich können wir in Europa und auch in Deutschland nicht alle Flüchtlingsprobleme lösen, auch nicht die von Afghanistan. Aber wir müssen zu einer Lösung beitragen. Wenn entsprechende Flüchtende hier bei uns ankommen, müssen wir auch unseren Part übernehmen - und das können wir auch.
DOMRADIO.DE: Wie sieht denn der Part der Kirche aus? Die Kirche ist ja kein staatliches Organ, die Flüchtlingsaufnahme in die Wege leiten kann.
Zekorn: Nein, tatsächlich nicht. Wir können nur, wie andere gesellschaftliche Gruppen auch, unsere Position und unsere Sicht aus einer christlichen Perspektive in die gesellschaftliche Diskussion einbringen. Aber wir können natürlich auch was tun. Und dafür sind wir gut aufgestellt. Wir haben in den Gemeinden Menschen, die vor Ort bereit sind zu helfen. Und das sind sehr viele. Wir haben gute Strukturen, wir haben karitative Strukturen, wir haben eine große Fachkompetenz im Flüchtlingsbereich. Das gilt für uns als Kirchen. Das gilt aber auch weit darüber hinaus, sodass ich wirklich glaube, wir können die Flüchtlinge, die zu uns kommen, gut aufnehmen. Da haben wir alle Möglichkeiten zu.
DOMRADIO.DE: Können Sie denn Stimmen verstehen, die sagen: Das ist eine politische Frage. Kirche sollte sich da raushalten?
Zekorn: Es ist eine politische Frage. Aber in unserer Gesellschaft bilden sich Antworten auf politische Fragen - Gott sei Dank - dadurch, dass sich verschiedene gesellschaftliche Gruppen mit ihren Ansichten zu diesen Themen äußern. Das ist auch gut so. Das ist das Wesen einer Demokratie. In diesem Sinne äußern wir uns auch als Kirche zu diesen und anderen Fragen aus der Perspektive, die wir von unserem Glauben her auf solche Dinge haben.
Da geht es jetzt ja nicht darum, konkret eine Politik zu bestimmen, sondern Grundsätze etwa des Umgangs mit Flüchtlingen zu erörtern. Und da glaube ich, ist es gut, auf die ja auch Jahrtausende langen Erfahrungen der Kirche im karitativen Bereich und auch sehr konkret mit Menschen, die auf der Flucht sind, zu hören.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.