Gesundheitspolitik war wohl selten wahlentscheidend. Doch bei dieser Bundestagswahl hat sie höhere Priorität als früher: Denn die Corona-Pandemie hat deutlich gemacht, wie systemrelevant ein funktionierendes Gesundheitssystem ist. Auch die alternde Gesellschaft setzt vieles auf die Tagesordnung: eine gute Krankenhausstruktur, ausreichend Pflegepersonal, funktionsfähige Gesundheitsämter oder den Einsatz von digitaler Technik. An vielen Stellen ist Handlungsbedarf.
Blick auf die Wahlprogramme
Von dieser Warte aus ist der Blick auf die Wahlprogramme zur Bundestagswahl eher ernüchternd. Der Streit um die Finanzierung der Krankenversicherung ist ein Dauerbrenner: Geht die Reise Richtung Bürgerversicherung oder bleibt es beim Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenkasse? Während Union und FDP gegen eine "Einheitsversicherung" wettern, pochen SPD, Grüne und Linke auf ein Ende der "Zwei-Klassen-Medizin". Für alle Versicherten sollen die gleichen Bedingungen gelten. Je nach Konzept sollen auch Miet- und Kapitaleinkünfte zur Finanzierung herangezogen werden.
Die Union verspricht stattdessen einen kräftigen Steuerzuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung, der dauerhaft an die "tatsächlichen Kosten der versicherungsfremden Leistungen" gekoppelt werden soll. Die FDP will die Wahlmöglichkeit der Versicherten stärken; sie sollen "aus verschiedenen Modellen wählen" können.
Darüber hinaus lobt die Union: Corona habe gezeigt, "wie stark unser Gesundheitssystem ist". Man müsse aber mehr tun, damit es auch weiterhin zu den besten der Welt zähle. Entbürokratisierung und Digitalisierung sind die Stellschrauben. 500 Millionen Euro soll der Bund für eine Innovationsoffensive in der Pflege bereitstellen.
Ebenso soll das Milliarden-Programm für die Modernisierung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes weitergeführt werden. Das Robert-Koch-Instituts soll zu einem deutschen Public-Health-Institut ausgebaut werden.
Bei der Krankenhausplanung will die Union komplizierte Behandlungen stärker auf weniger Häuser konzentrieren. Zugleich soll eine flächendeckende Grund- und Regelversorgung gerade auf dem Land "wesentlich stärker" berücksichtigt werden.
Die Sozialdemokraten wollen die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen beenden: "Gewinne, die aus Mitteln der Solidargemeinschaft erwirtschaftet werden, sollen verpflichtend und weitestgehend wieder in das Gesundheitssystem zurückfließen." Zudem will die SPD eine stärkere Öffnung von Krankenhäusern für die ambulante Versorgung. Die Rede ist auch von der "Wiederbelebung" der Gemeindeschwester und der digitalen Verknüpfung von Ambulant und Stationär. Die SPD pocht darauf, dass Deutschland seine Arzneimittelforschung stärkt. Die Förderung von BioNTec steht dabei Pate.
Und bei Grünen oder FDP?
Die Grünen wollen die Gesundheitsversorgung durch Zusammenarbeit zwischen ambulanten und stationären Angeboten stärken. Dabei sollen lokale Netzwerke von Ärzten, Apotheken, Therapeuten, Krankenhäusern oder Pflegediensten gefördert werden. Kliniken sollen in Zukunft auch nach ihrem gesellschaftlichen Auftrag finanziert werden. Zudem sollen Krankenhäuser, die durch fehlende Auslastung Qualitätsvorgaben nicht erfüllen können, zu "leistungsfähigen lokalen Notfall-, Gesundheits- und Pflegezentren weiterentwickelt werden".
Die FDP setzt auf Digitalisierung. Sach- und versicherungsfremde Leistungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung sollen auf den Prüfstand. Eine wichtige Schlussfolgerung aus der Pandemie soll die Unabhängigkeit des Robert Koch-Instituts (RKI) sein.
Um Engpässe bei Arzneimitteln zu bekämpfen, soll die Produktion nach Deutschland oder in die EU zurückverlagert werden. In der stationären Versorgung wollen die Liberalen eine bessere Investitionsfinanzierung für maximalversorgende und kleinere spezialisierte Krankenhäuser.
Mit einer besseren Zusammenarbeit des ambulanten und des stationären Bereichs sowie möglichst gleichmäßig verteilten Arztsitzen will Die Linke eine gute Versorgung in Stadt und Land organisieren. Zudem fordert das Programm 100.000 zusätzliche Pflegekräfte in den Krankenhäusern und 500 Euro mehr Grundgehalt. Krankenhäuser sollen in kommunale, öffentliche oder gemeinnützige Hand überführt und nicht mehr gewinnorientiert arbeiten. Rückgrat der Gesundheitsversorgung sollen mittelfristig Regionale Versorgungszentren sein.
Die AfD schlägt eine Zusammenlegung von sozialer Pflegeversicherung und gesetzlicher Krankenversicherung vor. Statt Fallpauschalen will sie ein Individualbudget für Krankenhäuser, um auch in strukturschwachen Regionen medizinische Versorgung zu gewährleisten.