Auch zwei Jahre nach dem umstrittenen Ausgang der Präsidentenwahlen 2019 in Bolivien kommt das südamerikanische Land nicht zur Ruhe. Beide politische Lager haben eine komplett gegensätzliche Sicht der Dinge.
Die Opposition um Ex-Kandidat Carlos Meso wirft den regierenden Sozialisten vor, die regierungskritische Presse, die über eine Wahlmanipulation berichtet, unter Druck zu setzen und die Geschichte fälschen zu wollen. Derweil verteidigt der linkspopulistische Ex-Präsident Evo Morales seine Version vom "Putschversuch" gegen ihn.
Wahlausgang bleibt offen
Während die Sozialisten auf eine internationale Untersuchung verweisen, die Morales Recht gäbe, führt die Opposition die Sicht der Wahlbeobachter der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ins Feld, die bei ihren Erkenntnissen bleiben: Bei der Wahl 2019 habe es Unregelmäßigkeiten gegeben, die auf Manipulation hindeuteten. Der Kampf ist offen, wer nun die Geschichte schreibt und damit die Deutungshoheit über die Geschichtsbücher bekommt.
Kirche mittendrin
Mitten drin: die katholische Kirche, die jüngst eine Dokumentation der Ereignisse rund um die Wahlen 2019 veröffentlichte. Morales erscheint darin in keinem guten Licht. In dieser Woche meldeten sich die Bischöfe erneut zu Wort und stellten sich hinter die seit Wochen inhaftierte Ex-Interimspräsidentin Jeanine Anez. Ihr Recht, sich in Freiheit und einem ordentlichen Verfahren zu verteidigen, werde verletzt, so die Bischofskonferenz.
Die Kirche sei besorgt über Manipulationen der Justiz. Das Verfahren gegen Anez habe sich in ein Instrument der Rache verwandelt. Man dürfe nicht länger das verfassungsgemäße Grundrecht auf Unschuldsvermutung ignorieren.
Anez ist zu einer Schlüsselfigur geworden. Die Interimspräsidentin war nach dem umstrittenen Wahlausgang und dem Rücktritt von Morales mit der Ausrichtung von Neuwahlen betraut worden. Diese Wahlen, die auch noch wegen der Corona-Pandemie verschoben wurden, gewannen die Sozialisten - allerdings ohne Morales als Spitzenkandidaten. Über die Transparenz des Votums und die Auszählung der Stimmen gab es keine Klagen. Trotzdem wurde Anez verhaftet und sitzt nun seit Wochen in Haft. Sie soll gesundheitliche Probleme haben.
Die Regierung werfe ihr vor, "an einem Staatsstreich teilgenommen zu haben, den es nie gegeben hat", erklärte Anez nach ihrer Verhaftung im März. Sie soll angeblich die politische Verantwortung für brutale Polizeieinsätze während der Unruhen 2019 tragen. Tödliche Gewalt gab es allerdings auch auf der anderen Seite - ohne dass jemand aus den Reihen der alten und neuen Regierung auf der Anklagebank sitzt.
Schon die erneute Kandidatur des damaligen Präsidenten Morales war nach einem verloren gegangenen Referendum über eine dazu notwendige Verfassungsänderung hoch umstritten gewesen. Doch Morales brach sein Wort und setzte gegen das Wählervotum seine Kandidatur auf juristischem Wege durch. Inzwischen räumt er ein, seine Kandidatur trotz des Neins seiner Landsleute sei ein Fehler gewesen.
Nach den Wahlen warf die Opposition dem seit 2006 regierenden sozialistischen Präsidenten Wahlbetrug vor; Hunderttausende gingen auf die Straße.
Morales ist wieder zurück
Morales beharrte zunächst auf einem Sieg im ersten Durchgang. Aber eine Kommission der OAS sprach in einem Bericht von schwerwiegenden Manipulationsversuchen und empfahl Neuwahlen; auch bolivianische Informatiker kamen zu diesem Schluss. Auf Druck aus den Reihen regierungsnaher Gewerkschaften, der Ombudsstelle des bolivianischen Volkes, der Armee und der Polizei trat Morales schließlich zurück, ging zunächst nach Mexiko und später nach Argentinien ins Exil.
Inzwischen ist er wieder in Bolivien und nimmt Führungsfunktionen in der sozialistischen Regierungspartei wahr.
Morales' Parteifreund Luis Arce gewann die von Anez organisierten Neuwahlen deutlich. Er versprach im Wahlkampf, einen Kurs der Versöhnung einzuschlagen. Allerdings ist überhaupt nicht absehbar, wann das Klima der Konfrontation im Land nachlassen wird.