Wie der Bau der Berliner Mauer auch Kirchen gespalten hat

Eine Trennung, die vor nichts Halt machte

Am 13. August 1961 rollten Sowjet-Panzer und Soldaten vor das Brandenburger Tor und riegelten den Bereich ab. So begann der Bau der Berliner Mauer, die mehr als 28 Jahre nicht nur ein Volk entzweien wird, sondern auch die Kirchen.

Volkspolizisten und Arbeiter der DDR beim Errichten der Berliner Mauer im Norden Berlins an der Grenze zum Westberliner Bezirk Reinickendorf (dpa)
Volkspolizisten und Arbeiter der DDR beim Errichten der Berliner Mauer im Norden Berlins an der Grenze zum Westberliner Bezirk Reinickendorf / ( dpa )

Es ist der 13. August 1961. Im Morgengrauen dieses Sonntages beginnt für viele Deutsche das Unfassbare: Eine Mauer wird gebaut, mitten durch Berlin. Ihr Stahl und Beton spalten schon bald die Stadt, Deutschland, ein ganzes Volk. Und auch Kirchengemeinden.

Die Berliner Mauer

Am 13. August 1961 riegelte die DDR die Grenze zu West-Berlin ab und errichtete die Berliner Mauer. In den folgenden 28 Jahren bis zum Fall der Mauer am 9. November 1989 starben mindestens 40 Menschen nach Fluchtversuchen oder bei anderen Zwischenfällen an den Sperranlagen.

Die Berliner Mauer (KNA)
Die Berliner Mauer / ( KNA )

"Der Christ sitzt in der Löwengrube. Er wird den Löwen aber weder streicheln noch am Schwanz ziehen", sagt der nur wenige Tage nach dem Mauerbau zum Bischof von Berlin berufene Alfred Bengsch, der spätere Kardinal von Berlin.

Die Kirche will sich raushalten

Mit dem Löwengruben-Vergleich legt er den Kurs der katholischen Kirche in der DDR gegenüber dem Staat fest: Politische Abstinenz der Kirche, oder wie es offiziell hieß: "stille Diplomatie". Das Erzbistum  Berlin hat die Teilung seiner Stadt nie offiziell anerkannt. Der Staat lässt die Kirche im Gegenzug für ihr Schweigen weitestgehend gewähren und tastet die formale Einheit des Bistums Berlin nicht an.

Verbunden im Glauben

"Wir vermissen unsere Brüder aus dem anderen Teil des Bistums, aber wir wissen uns zugleich mit ihnen unlösbar verbunden. Es ist das Gesetz des Leibes Christi, der Kirche, dass, wo ein Glied leidet, alle leiden, und wo eines gestärkt wird, alle gestärkt werden. Wenn sie im anderen Teil des Bistums fest im Glauben stehen, dann kommt diese Kraft auch Euch zugute. Und wenn Ihr aus lebendigem Glauben tut, was hier zu tun ist, dann ist dies auch Trost und Stärkung für die Brüder", betont Kardinal Bengsch im Jahr 1966.

Der Westberliner, der sich für eine Residenz im Osten entscheiden musste, nachdem seinem Vorgänger im Amt, Kardinal Julius Döpfner die Einreise nach Ostberlin verwehrt wurde, gilt als Bischof für die Einheit des Bistums. Am Anfang durfte er für drei, später dann für zehn Tage im Monat in den Westen reisen, um sich um sein Bistum zu kümmern. Das ist nur wenig Zeit, um sein Ziel, die Einheit des Bistums, zu erreichen - wie exemplarisch die Geschichte der Michaelsgemeinde zeigt.

Berliner Mauer und Sankt-Michael-Kirche / © KNA-Bild (KNA)
Berliner Mauer und Sankt-Michael-Kirche / © KNA-Bild ( KNA )

Eine Gemeinde wird getrennt

Mitten im Grenzgebiet, im Bezirk Mitte, steht Sankt Michael: Die ursprüngliche Garnisonskirche ist vor allem für ihren Rundbogenstil bekannt. Das Gotteshaus ist um mehr als ein Jahrhundert älter als die Mauer.

Ihre 56 Meter hohe Kuppel überragt später die neue Grenzbefestigung um Längen. Aber das, wofür die Mauer stehen soll, wird die Michaelsgemeinde überrollen und für immer verändern. Schon zum hundertjährigen Weihe-Jubiläum von Sankt Michael ist die Mauer im Weg. Die Gemeinde kann nicht gemeinsam feiern. Ein Teil bleibt beim Kirchengebäude im Osten, während ein Großteil in Westberlin lebt und feiert.

Provisorium im Westen

Für die "Wessies" wird direkt am Mauerstreifen, am Mariannenplatz im Bezirk Kreuzberg, eine Notkirche bereitgestellt. In einem Gebäude aus Kalksteinplatten und ohne Kirchturm; nüchtern, sachlich und grau. Ein bisschen wie die Mauer selbst.

Auch das neue Gemeindezentrum westlich des Mauerstreifens steht im Zeichen dieser schlichten Sachlichkeit, aber, und das ist sehr wichtig, mit Blick auf die ältere Schwester-Kirche Sankt Michael im Osten. Das Provisorium im Westen ist dem Einheitsgedanken geschuldet, die Gemeinde von Sankt Michael glauben nämlich nicht an die Mauer, sondern an deren Fall und haben vor, das Gemeindezentrum eines Tages gemeinsam zu nutzen. Deswegen wird die Sankt Michaels Kirche West auch nie geweiht.

Evangelische Kirche wird zugemauert

Die Kapelle der Versöhnung ist Teil der Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße in Berlin / © Rainer Jensen (dpa)
Die Kapelle der Versöhnung ist Teil der Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße in Berlin / © Rainer Jensen ( dpa )

"Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten." Für diesen Satz ist Walter Ulbricht, der Staatsratsvorsitzende der DDR, als Lügner in die Geschichte eingegangen. Er verhöhnt damit nicht nur die Sankt Michaels Gemeinde, sondern auch die evangelische Versöhnungsgemeinde in Berlin, die durch die Mauer auseinandergerissen wird. Die Kirche befindet sich nämlich 1961 genau im Grenzgebiet.

Ihr Hauptportal liegt etwa zehn Meter von der Mauer entfernt und wird noch im August 1961 nahezu zugemauert. Aufgrund der besonderen Lage im Todesstreifen darf ab dem 23. Oktober 1961 niemand mehr die Kirchen besuchen. Den Turm des Gotteshauses nutzen DDR-Grenztruppen zwischendurch als Wachturm, bis er 1985 gesprengt wird. 

Eine Gemeinde nimmt Abschied

Diese Sprengung dient der "Kontrolle des vom Generalsekretär bestätigten Maßnahmeplanes zur Durchführung von baulichen Aufgaben für die Erhöhung von Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit an der Staatsgrenze zu Berlin-West", heißt es ungelenk in dem zugrundeliegenden Protokoll.

"Arbeiter schleppten das verbogene Eisenkreuz in ein kirchliches Lager. Danach war die Grenze perfekt", kommentiert später der evangelische Pfarrer Manfred Fischer den Vorgang gegenüber einer Tageszeitung. Zum Zeitpunkt der Sprengung ist er bereits zehn Jahre für die Gemeinde zuständig und sieht der Zerstörung der Heimatkirche Sankt Michael mit seiner Gemeinde vom Stadtteil Wedding im Westen aus an. 

Die Gemeinde trauert und verabschiedete sich Monate danach mit einem dreitägigen Gottesdienst von ihrer Kirche. In einer "Mauerrede" der evangelischen Gemeinde heißt es: "Wir können etwas tun. Und wenn wir auf Symbolhandlungen vertrauen, dann wissen wir, Symbole haben eine stille Kraft, Unmögliches zu verwandeln in Möglichkeiten."  

Entfremdung in Ost und West

Auch der katholische Kardinal Bengsch mahnt damals: "Bewahrt die Einheit des Bistums und steht in Treue zum Heiligen Vater, den Christus zum Haupt seiner Kirche bestellt hat." 

Der Todesstreifen aber hinterlässt seine Spuren: Nach und nach driften die beiden katholischen Gemeindeteile auch inhaltlich immer mehr auseinander. Im Osten hält man an traditioneller Seelsorge und Liturgie fest; eine moderne Entwicklung ist vielleicht angesichts der politischen DDR-Führung gar nicht möglich gewesen.

Dagegen setzt die Gemeinde im Westen spätestens seit den 80-er Jahren neue Schwerpunkte, öffnet sich dem Stadtteil und konzentriert sich immer mehr auf soziales Engagement und Jugendpastoral. 

Trennung wegen unüberbrückbarer Differenzen

Mit dem Fall der Mauer findet das Doppelleben der Michaelsgemeinde schließlich ein Ende. Anders als erhofft, ist eine Zusammenführung der beiden Teile 1990 aber nicht mehr möglich.

Die Ostberliner Gemeinde ist heute Teil der Sankt Hedwigsgemeinde. Ihr Pendant im Westen fusionierte im Jahr 2000 mit der Gemeinde von Sankt Marien-Liebfrauen. Die Gemeinde von Sankt Michael hat die Mauer zwar nicht überlebt, aber sie wurde zum Symbol, wie in jedem Ende auch ein Anfang steckt.

Die Berliner Mauer im Vatikan

Das Betonstück, das damals die Gemeinde Sankt Michael teilte, steht mittlerweile im Vatikan. Es war ein Geschenk an den heiligen Papst Johannes Paul II. zum Dank für dessen Verdienste um die Wiedervereinigung.

Ein iranischer Künstler hat das Bild der berühmten Kirche darauf skizziert. Eine Warnung, die in aller Deutlichkeit an die Unterdrückung der Kirchen in der DDR und die gewaltsame Teilung eines Volkes erinnert.

Quelle:
DR