"Zeit zu handeln!" – so sind die 155 Seiten Wahlprogramm der Partei "Die Linke" zur Bundestagswahl überschrieben. Darin enthalten: Kernthemen der Partei wie soziale Sicherheit, Frieden und Klimagerechtigkeit. Aber auch bei der Religionspolitik drängen die Linken auf Veränderungen. So sollen kirchliche Privilegien abgeschafft und eine größere Distanz zwischen Staat und Kirche durchgesetzt werden. Am gegenwärtigen Verhältnis von Staat und Kirche lässt die Partei kein gutes Haar.
Als Kampfansage an die Kirchen sei das Programm der Linken jedoch nicht zu verstehen, beruhigt die religionspolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion, Christine Buchholz, gegenüber DOMRADIO.DE. "Wir denken, dass es Handlungsbedarf an einigen Stellen gibt," betont die religionspolitische Sprecherin der Linken. Man wisse aber auch, "dass wir an vielen Punkten gemeinsame Anliegen haben und gemeinsam an gesellschaftlichen Herausforderungen arbeiten", so Buchholz. Wo diese Schnittmengen liegen? Die Bewahrung der Schöpfung, soziale Gerechtigkeit oder eine pazifistische Grundeinstellung - diese Themen haben die Kirchen und die Partei "Die Linke" gleichermaßen auf der Agenda.
In vielen Punkten steht die Partei konträr zur offiziellen Kirchenlinie
Viel mehr Verbindendes schält sich gleichwohl nicht heraus. Mehr noch: In vielen Punkten steht die Partei konträr zur offiziellen Kirchenlinie – und formuliert weitreichende Reformideen. So tritt die Partei für eine "freie Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch" ein und möchte den Paragrafen 219a StGB abschaffen, der das Werben für Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt.
Weitere Differenzen bestehen mit Blick auf das von den Linken geforderte "Wahlverwandschaftsrecht", welches neben gleichgeschlechtlichen Paaren auch polygame Beziehungen miteinschließt. Vorstellungen, die mit dem kirchlichen Lehramt schwerlich in Einklang zu bringen sind.
Auch das kirchliche Arbeitsrecht will die Partei "Die Linke" abschaffen. "Wir denken, dass das kirchliche Sonderarbeitsrecht eigentlich der Vergangenheit angehören sollte", sagt die Linken-Religionspolitikerin Buchholz und konkretisiert: "Die Rechte von Geschiedenen und Wiederverheirateten, von Menschen mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen und die Rechte von schwulen und lesbischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in kirchlichen Einrichtungen müssen gestärkt werden. Ich finde das ist wichtig und entspricht auch einfach der Zeit", so Buchholz.
Militärseelsorge soll abgeschafft werden
Kritisch sieht man in der Partei auch die kirchliche Militärseelsorge: "Die Militärseelsorge in der jetzigen Form wollen wir abschaffen", heißt im Programm der Partei. Die "enge Verzahnung von Staat bzw. Bundeswehr und Kirche" im Bereich der Militärseelsorge gelte es zu beseitigen, unterstreicht die Linken-Politikerin Buchholz. "Wir wollen einen Seelsorgevertrag mit Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften, um eine unabhängige Soldatenseelsorge zu gewährleisten."
Reformbedarf besteht für die Linken auch bei den sogenannten Staatskirchenleistungen. Die im Grundgesetz verankerten, jährlichen Zahlungen des Staates an die beiden großen Kirchen, die ursprünglich als Ausgleich für historische Enteignungen gedacht waren, wollten die Oppositionsparteien bereits während der aktuellen Legislaturperiode durch einen entsprechenden Gesetzesentwurf ablösen – und scheiterten an den Stimmen der großen Koalition.
Ebenso fordert die Partei in ihrem Programm, "dass die Kirchen in Zukunft ihre Steuern bzw. Beiträge selbstständig einziehen." Derzeit übernehmen die Finanzämter der jeweiligen Bundesländer die Kirchensteuer und behalten dafür eine Aufwandsentschädigung ein. Auf Konfrontationskurs mit den Kirchen geht die Partei schließlich auch an anderer Stelle ihres Wahlprogrammes. So heißt es dort: "Eine (automatische) Mitgliedschaft von Kindern in Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften der Eltern lehnen wir ab. Ein Beitritt darf nur selbst und nach Erreichen der Religionsmündigkeit erfolgen." Fordert die Linke das Aus für Kindstaufen, wie wir sie seit Jahrhunderten in vielen Religionen kennen? "Nein", beteuert Linken-Sprecherin Buchholz, "es geht darum zu betonen, dass es eine bewusste Entscheidung geben soll für den Beitritt zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und das erst bei Erreichen der Religionsmündigkeit." Ein überzeugendes Dementi klingt anders.
Anerkennung der gesellschaftlichen Rolle der Kirchen
Offen zeigt sich Partei hingegen mit Blick auf das Tragen religiöser- bzw. weltanschaulicher Symbole von Beamten. Zwar gelte es grundsätzlich, die staatliche Neutralitätspflicht zu wahren, betont Christine Buchholz. Deshalb sei man dagegen, dass in einer Amtsstube oder in einem Klassenzimmer ein Kruzifixs hängt. "Aber das individuelle Recht auf Religionsfreiheit schließt ein, dass diese Religion auch sichtbar gezeigt werden kann", so Buchholz, "und deswegen steht es nicht gegen die staatliche Neutralität, wenn jemand ein Kreuz, eine Kippa oder ein Kopftuch trägt."
Trotz aller Kritik – die Daseinsberechtigung spricht die die Linken-Religionspolitikerin den Kirchen nicht ab. "Kirchen und auch Religionsgemeinschaften spielen eine wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben", betont Christine Buchholz gegenüber dem DOMRADIO.DE. "Das ist auch trotz eines größeren, sich als säkular verstehenden Bevölkerungsteils, durchaus der Fall." Buchholz betont sogar Überschneidungspunkte zwischen Linker-Politik und kirchlichem Engagement – etwa für Geflüchtete, Klimaschutz und einer sozial-gerechten Gesellschaft. "Kirchen und Religionsgemeinschaften können und sollen Bündnispartner sein", resümiert die Linken-Politikerin Christine Buchholz.