DOMRADIO.DE: Nur noch rund ein Drittel aller Menschen in Deutschland finden die Religion wichtig. Und nur ein Viertel sehen die Kirchen noch als politische oder gesellschaftlich relevante Akteure. Kurzum: die Kirchen verlieren in Deutschland massiv an Bedeutung. Überrascht Sie das?
Prof. Michael Ebertz (Religionssoziologe und Buchautor): Es überrascht mich nicht. Das ist eine Tendenz, die sich schon seit Jahrzehnten abzeichnet. Gott ist kein Thema mehr, wenn man jetzt mal Gott stellvertretend für das Thema Religion nimmt. Sein Leben daran auszurichten, vor Gott bestehen zu können, ist für vielleicht 13 oder 14 Prozent noch ein Thema, für die jungen Leute schon gar nicht mehr.
DOMRADIO.DE: Das ist ja ein massiver Bedeutungswandel, den die Kirchen in Deutschland erleben. Warum hat sich das so radikal geändert?
Ebertz: Es sind gesellschaftliche Prozesse der Pluralisierung, die im Grunde das Christliche, das Katholische nicht mehr als einzig mögliche Deutung des Lebens der Welt erscheinen lassen. Und zum anderen sind es die Kirchen selbst, in Sonderheit die katholische Kirche, die das, was Religion ist - nämlich etwas Spannendes, was mein Leben ausrichtet - im Grunde durchhängen lässt.
DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche ist im Moment viel mit sich selbst beschäftigt. Da wird über die Segnung homosexueller Paare gestritten, über Zölibat, über Weiheämter für Frauen. Wie weit sind in Ihren Augen diese Probleme entfernt von dem, was die Menschen tatsächlich beschäftigt?
Ebertz: Im Grunde hat sich die Kirche schon seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil um sich selbst gedreht, obwohl sie behauptet hat, in den Dialog mit der modernen Welt zu treten. Das Zweite Vatikanum war ein Konzil der Kirche für die Kirche. Und seit dieser Zeit erleben wir immer neue Kreiselbewegungen, sozusagen. Die Kirche kreiselt um sich selbst bis hin zum Abbau, Umbau von pastoralen Strukturen. Das zentriert enorm die Energien.
Das, was die Menschen von heute sagen, was sie bewegt, bis hin zur Frage nach dem Sinn des Lebens - das wird im Grunde kaum noch thematisiert. Für Einzelseelsorge ist gar keine Zeit mehr, nur noch für Kollektivseelsorge, für die Strukturen, die jetzt umgebaut werden müssen. Nicht mehr Wachstum im Glauben, Wachstum der Kirche, sondern Schrumpfung. Und das beschleunigt. Das ist momentan das Zentrum kirchlichen Lebens.
DOMRADIO.DE: Die Kirche ringt um Reformen auf dem Synodalen Weg. Ist das eine Chance oder ist es doch wieder ein Ringen um die eigenen Strukturen?
Ebertz: Da geht es um so basale institutionelle Strukturen. Das ist nicht unwichtig, aber es interessiert kaum jemanden. Wer interessiert sich schon noch für die katholische Sexuallehre? Wenn die umgebaut werden würde, was sehr unwahrscheinlich ist, würde es kaum jemanden interessieren.
Die wirklichen Fragen der Menschen, die stehen nicht auf der Tagesordnung, beim Synodalen nicht und auch nicht in den einzelnen Diözesen, wo es um den Umbau der pastoralen Strukturen geht. Das interessiert alles niemanden. Die Kirche hat den Anschluss verloren, auch bei der jungen Generation.
DOMRADIO.DE: Was würden Sie den Verantwortlichen da raten?
Ebertz: Es gibt schon eine Grundfrage nach dem Sinn des Lebens. Nur die Antworten sind nicht mehr gegeben. Sie sind nicht mehr homogen, sie sind außerordentlich heterogen. Hier müsste sich die Kirche aber einschalten. Sie kann es aber nicht. Sie kann keine geschlossene Antwort mehr auf den Sinn des Lebens geben.
Früher hat man gesagt: Der Sinn des Lebens muss sozusagen dramatisch realisiert werden, weil man irgendwann mal vor Gott bestehen muss. Es gab die Möglichkeit, in der Hölle zu landen, um es mal kurz zu sagen. Heute kommen alle in den Himmel, ob wir brav sind oder nicht.
Was ist überhaupt noch spannend an dieser Kirche? Die Kirche hat auch an innerer Dramatik für die Mitglieder, aber auch für die anderen Menschen verloren. Sie müsste wieder ihre ureigenen Themen nach dem Heil, nach dem Sinn des Lebens auf die Tagesordnung bringen. Und sie dürften nicht mehr allein in den immer weiter schrumpfenden Kirchengemeinden und in den verengten Milieus verhandelt werden.
Die Kirchen müsste neue Orte aufbauen. Ich habe mal von spirituellen Hotspots gesprochen, wo die Themen des Lebens thematisiert werde. Auch für Menschen, die sich erst mal nicht so ohne weiteres in den Gemeinden finden oder in der Kirche verankert sind.
Es muss plötzlich wieder klar werden: Mensch, die Kirche hat ja zentrale Themen, die im sonstigen gesellschaftlichen Leben, sozusagen im Dauerstress der Berufe, der Familien und der Freizeit verloren gehen. Die Kirche muss wieder erlebbar werden, als ein Ort, den man eigentlich nicht verlieren darf.
Das Interview führte Hilde Regeniter.