DOMRADIO.DE: Wie ist Ihr erster Eindruck: Betroffene mit ihren Standpunkten spielen eine relativ große Rolle auf dieser Synodalversammlung?
Johanna Beck (Sprecherin des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz): Ich bin etwas erschlagen von den ganzen Eindrücken und von den ganzen Diskussionen, aber ich bin auch positiv überrascht, wie viel hier gerade passiert und wie viel Dynamik da herrscht. Ich finde es auch gut, dass gestern eine ganze Stunde eingeräumt wurde für die aktuellen Umstände, Zustände und Geschehnisse. Das ist uns ja auch ein Anliegen, dass das thematisiert wird. Und es zeigt noch mal, wie dringend notwendig dieser Synodale Weg ist.
DOMRADIO.DE: Sie waren bei der ersten Synodalversammlung nicht dabei. Damals gab es die Kritik, dass Betroffene selber nicht zu Wort kommen. Bei der Online-Konferenz, die im Frühjahr stattgefunden hat, haben Sie digital gesprochen. Haben Sie denn den Eindruck, dass Sie jetzt hier als Betroffene gebührend wahrgenommen werden?
Beck: Ich denke doch schon. Wir melden uns ja auch selber zu Wort, wenn wir das Gefühl haben, wir kommen zu kurz. Wir werden heute Mittag auch noch einmal Statements abgeben. Also ich habe schon das Gefühl, man gibt uns durchaus Raum. Das ist auch wichtig, weil es geschehen doch hier Dinge oder es werden Dinge gesagt, wo wir wirklich gegenhalten müssen, einfach um unsere Perspektive einzubringen und noch einmal klarzumachen, dass verschiedene Äußerungen wirklich verletzend sind – uns gegenüber zum Beispiel.
DOMRADIO.DE: Bischof Voderholzer hat z.B. davon gesprochen, dass das, was hier passiert, ein Missbrauch des Missbrauchs sei, um kirchenpolitische Ziele durchzudrücken. Ihr Co-Sprecher Johannes Norpoth hat das gestern schon stark kritisiert, weil das nämlich auch zu einer Retraumatisierung führen könne, solche Formulierungen zu verwenden. Wie sehen Sie das?
Beck: Ja, ich sehe das genauso. Ich finde das ganz problematisch. Er reduziert ja gerne die MHG-Studie. Das hat er ja heute auch gesagt, dass das angezweifelt und nicht wirklich in ihrer Aussagekraft akzeptiert und angenommen wird. Und mein Fall ist eng mit der MHG-Studie verknüpft, weil es dadurch erst mal ein Schlüssel war, um auch meinen Fall zu verstehen. Und wenn jetzt jemand herkommt und sagt, die MHG-Studie hat überhaupt nicht so viel Aussagekraft, dann ist es für mich wirklich hart.
Ich fühle dann meine eigene Geschichte fast ein bisschen mit Füßen getreten – meinen eigenen Fall, weil dann meine Geschichte und meine Hintergründe und meine Verletzungen nicht ernst genommen werden. Und unsere Verletzungen müssen ernst genommen werden, dass sich etwas ändert und als Basis dafür auch genutzt werden, weil sonst hat das Ganze überhaupt keinen Sinn gehabt.
DOMRADIO.DE: In die Gegenposition versetzt: Es muss ja eigentlich möglich sein, die MHG-Studie in gewissem Sinne zu hinterfragen. Da kam heute Vormittag auch die Anmerkung, dass es nicht bloß um die Kritik an sich geht, sondern um die Wortwahl, die bei dieser Kritik, die bei der Hinterfragung verwendet wird. Wie sehen Sie das?
Beck: Ich finde das auch verletzend, wie das kommuniziert wird. Man kann natürlich angemessen Kritik üben an jeder wissenschaftlichen Studie, aber das auf so eine selbst fast dogmatisierende Art und Weise zu machen, dass man die eigenen Aussagen monolithisch in den Raum stellt und gleichzeitig auch fast ein bisschen den Diskurs darüber verweigert, das finde ich, ist auch eine sehr problematische Kommunikationsform. Das taucht hier immer mal wieder auf.
Ich finde diese Statements tatsächlich verletzend. Und es gab und gibt ja durchaus Nachfolge-Studien oder Studien in anderen Ländern, die die Empfehlungen und die Erkenntnisse der MHG-Studie stützen – und zwar sehr deutlich. Wie viele Studien muss es noch geben, die quasi genau dasselbe sagen, dass das endlich akzeptiert wird und daraus auch ein Imperativ entsteht.
DOMRADIO.DE: Welche Erwartungen und Hoffnungen haben Sie an den weiteren Verlauf der Konferenz und des Synodalen Weges?
Beck: Ja, das gibt es durchaus. Ich bin da immer hin- und hergerissen. Beim Synodalen Weg zeigt sich die Kirche, wie sie sein könnte, zum Beispiel in diesen tollen Texten des Machtforums, die ja wirklich wegweisend sind. Und die Kirche zeigt sich aber auch so, wie sie leider teilweise immer noch ist. Es bringt ziemlich viel an die Oberfläche. Das ist noch mal so ein bisschen ein Katalysator für die ganzen innerkirchlichen Lager und Strömungen.
Aber ich habe durchaus noch die Hoffnung, dass durch diese Dynamik und durch diese ganzen Gesprächssituationen, die dadurch entstehen, wirklich etwas bewegt werden könnte. Und ich denke mir manchmal: Wer weiß, was noch daraus passiert. Ich glaube, es können damit auch unabsehbare Dinge in Bewegung gebracht werden, die man jetzt vielleicht noch gar nicht so sehen kann. Es fiel ja so oft der Satz: Der Weg entsteht beim Gehen. Und was man eben auch nicht vergessen darf, war dieser wunderbare Versprecher ist gestern: Der Weg entgeht beim Stehen. Es muss unbedingt Bewegung rein und weitergehen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.