DOMRADIO.DE: Was verbindet sie und was verbinden sie mit den Ländern Osteuropas?
Prof. Dr. Thomas Schwartz (Hauptgeschäftsführer der Solidaritätsaktion Renovabis): Während meines Studiums in Rom habe ich schon mit ganz viele Studierenden aus Mittelosteuropa in einem Haus gewohnt. Wir haben uns gemeinsam auf das Priestertum vorbereitet. Das war bisher die Hauptverbindungslinie, die ich zu mittel- und osteuropäischen Ländern gehabt hatte. Freundschaften, die sich entwickelt haben und die geblieben sind. Aus diesen Freundschaften heraus gab es natürlich das eine oder andere an Informationen.
Jetzt nach der Wahl fange ich an, das Netzwerk zu entklerikalisieren. Ich hab auch ganz schnell gemerkt, dass in den 29 Ländern, für die Renovabis zuständig ist, 450 Millionen Menschen leben. Dahinter stecken ganz unterschiedliche Bedürfnisse, unterschiedliche Fragen, Sehnsüchte, Hoffnungen. Da müssen wir gucken, wie wir auf die ein oder andere Weise helfen können, dass Menschen dort ein gutes Leben führen können.
DOMRADIO.DE: Was haben Sie denn in Rom von den Menschen aus Osteuropa mitbekommen, was Ihnen jetzt behilflich sein kann?
Schwartz: Mein Studium in Rom war in den Jahren von 1986 bis 1991. Diese Zeit war durch die Wende und den Fall des Eisernen Vorhangs bis hin zur Implementierung erster demokratischer Systeme geprägt. Damals konnte man von den Mitbrüdern und teilweise auch Mitschwestern ganz stark erfahren, wie eine marginalisierte Kirche funktioniert, die teilweise auch wirklich verfolgt wird.
Mit diesem Wissen im Kopf kann ich es leichter verstehen, dass manche christlichen Kirchen im Osten einen Reflex des Wiederaufbauens ihrer früheren Positionen suchen, den wir in Deutschland zu unserer heutigen Zeit so nicht mehr verstehen.
Aber auch umgekehrt wird für mich deutlicher, wie Kirche funktionieren kann, die marginalisiert wird, die Bedeutungs- und Referenzverluste in einer Gesellschaft erfährt. Das ist für mich ein neues Lernen, das in zwei Richtungen geht.
DOMRADIO.DE: Hat das Thema eine traurige Aktualität für uns in Deutschland?
Schwartz: Es ist nicht die Aufgabe der Kirche "Everybody's Darling" zu sein. Es ist auch keine Aufgabe, an der Front zu stehen und zu bestimmen. Man sollte vielmehr an der Front stehen, damit man sozusagen jedem Menschen das Angesicht Gottes wieder gegeben kann. Da ist man mit dem Herrgott in guter Gesellschaft; wenn man manchmal marginalisiert wird.
DOMRADIO.DE: Wie waren ihre ersten zwei Wochen im neuen Job?
Schwartz: Es steht eine Menge an. Es gilt die Auslandsabteilungen der verschiedensten Länder mit ihren unterschiedlichen Problemsituationen kennenzulernen. Ebenso die innere Struktur der eigenen Organisation, wo perspektivisch auch eine Organisationsentwicklung ansteht.
Es stehen auch schon die ersten Gremiensitzungen an, die vorbereitet und auch durchgestanden werden müssen. Dort trifft man Leute, mit denen man bisher nie was zu tun hatte, erlauchte Kreise mit Bischöfen und Ähnlichem. Da hatte ich als kleiner Landpfarrer, der ich bis zum 31. August gewesen bin, seltener Bezug zu.
Das ist alles ganz neu, aber es ist spannend. Und der liebe Gott hat mir unglaublich viel Energie mitgegeben, um die Herausforderungen bestehen zu können und abends über mich lachen zu können, was ich da alles wieder dummes Zeug angestellt habe.
DOMRADIO.DE: Hilft Ihnen ihr Wissen aus dem Bereich Wirtschaft im Tun als Hauptgeschäftsführer bei Renovabis?
Schwartz: Das hoffe ich doch. Erstens kann ich eine Bilanz lesen. Das ist nicht jedem gegeben. Mir hilft es zu schauen, wie die wirtschaftliche Entwicklung unseres Werkes verläuft. Andererseits merke ich, dass gerade diese Expertise im wirtschaftsethischen Bereich dazu gehört, um die Verantwortung von Unternehmen wahrzunehmen.
In den Partnerländern werden Fragen nach Ungerechtigkeiten oder Compliance-Regeln interessiert gestellt. So habe ich jetzt schon für die nächsten Reisen einige Anfragen für Vorträge an katholischen Universitäten und anderen Hochschulen.
DOMRADIO.DE: Sind solche Vorträge Dinge, auf die sie sich besonders freuen bei Iihrer neuen Aufgabe?
Schwartz: Die Lehre habe ich auch in Deutschland. Es macht mir immer Freude, Wissen weiterzugeben. Wenn man etwas hergibt, ohne dass man etwas verliert. Aber davon abgesehen freue ich mich sehr darauf, von Menschen lernen zu können.
Ich bin zum Beispiel wahnsinnig neugierig darauf, mal mit einen griechisch-katholischen Priester und seiner Familie einen Tag zu verbringen. Einfach zu sehen, wie es geht, Priester und Ehemann zu sein. Das kenne ich als römisch-katholischer und zölibatär Lebender gar nicht.
Oder von Laieninitiativen zu lernen, wie man etwas aufbaut, das eigene Leben als Christen gestaltet, ohne eine finanzielle Absicherung wie die Kirchensteuer zu haben. Das ist etwas, wo ich unglaublich viel lernen möchte.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.