DOMRADIO.DE: Am Donnerstag war der zweite Prozesstag gegen Theodore McCarrick. Was ist denn gestern passiert?
Klaus Prömpers (Journalist und ehem. US-Korrespondent des ZDF): Im Grunde war das ein zweiter formaler Akt in diesem Prozess. Nach wie vor ist der frühere Kardinal dort nicht selber zu Wort gekommen, weil er das wohl nicht will. Er ist ein wirklich sehr alter Mann mittlerweile, er kommt mit einem Rollator ins Gericht, natürlich auch mit Maske, in den Zeiten von Covid, und hat seine Anwälte nur sagen lassen, dass er sich nach wie vor für unschuldig hält. Und nun wird eine Beweisaufnahme erfolgen, aufgrund der Angaben des Jungen, der angibt, von ihm 1974 missbraucht worden zu sein. Und dann wird der Prozess in den nächsten Wochen fortgesetzt werden. Außerdem darf er sich nicht außerhalb der USA bewegen. Er wohnt ja heutzutage in Missouri und muss für diesen Prozess immer hoch kommen nach Massachusetts, wo der Prozess stattfindet. Man wird abwarten müssen, wie sich der Prozess weiterentwickelt.
DOMRADIO.DE: Gibt es mittlerweile noch mehr anhängige Verfahren?
Prömpers: Es gibt mittlerweile ein zweites Verfahren gegen ihn, was eröffnet werden wird, im Bundesstaat New Jersey, wo gegen den ehemaligen Kardinal McCarrick, ermittelt wird. Er leitete von 1981 bis 1986 als Bischof eine Diözese in New Jersey. Und dort klagt nun ein damals ebenfalls junger Mann wegen sexueller Übergriffe des damaligen Bischofs. Eine Gesetzesnovelle macht das möglich in New Jersey, die für zwei Jahre die Möglichkeit eröffnet hat, für Missbrauchsopfer, nicht nur von der Kirche, sondern auch von anderen, wie beispielsweise den Pfadfindern, Verfahren anzustrengen, um entschädigt zu werden für psychische und sonstige Schwierigkeiten, die im Laufe des Lebens der jeweiligen Missbrauchten vorgefallen sind. Da wird auch in nächster Zukunft wohl ein Prozess eröffnet werden. Allerdings, man muss immer sehen, McCarrick ist mittlerweile 91 Jahre alt und macht wirklich einen sehr fragilen Eindruck. Man weiß nicht sicher, ob er das Ende der Prozesse jeweils noch wird erleben können.
DOMRADIO.DE: Ist denn dieser Prozess vielleicht auch mit den vielen Missbrauchsfällen in den USA als eine Art Sühneprozess zu werten?
Prömpers: Ein Teil der Kirche hofft sicherlich, dass damit eine Normalisierungsprozess eintreten kann. Man kann jetzt schon bemerken, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für den Prozess von McCarrick sehr gering ist, im breiteren Umfang gesehen. Das spielt nur noch eine Rolle in den regionalen Medien von Massachusetts, aber nicht mehr in den überregionalen großen Medien. Man wartet da auf das Prozessende wahrscheinlich. Und man muss auch feststellen, so sagen viele, dass ja sich doch einiges geändert hat seit den ersten Vorwürfen, die gerade in Boston hervorgerufen worden waren, im Jahr 2002. Die Kirche hat mittlerweile strengere Maßstäbe angelegt an ihr Personal, also an die Priester, die in die Priesterseminare kommen und die ausgebildet werden. Man achtet besser darauf, dass dort keine Menschen hineinkommen, die beispielsweise pädophile Neigungen haben. Da hat sich etwas geändert, das muss man wohl feststellen. Und es scheint, dass in den letzten Jahren der Auswahl der Menschen doch deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt worden ist, so dass solche Missbrauchsfälle wohl nur noch sehr, sehr selten vorkommen.
DOMRADIO.DE: Heute war ja US-Präsident Joe Biden bei Papst Franziskus zur Privataudienz. Die hat ungewöhnlich lange gedauert, eineinhalb Stunden. Wir waren natürlich nicht dabei. Aber meinen Sie auch, solche Prozesse kommen dann zur Sprache?
Prömpers: Das glaube ich schon, weil natürlich, sowohl in den USA, wie in Europa, wie in Lateinamerika, wie in anderen Stellen der Welt, Missbrauchsvorwürfe gegen die katholische Kirche massiv die Kirche belasten, ihre Glaubwürdigkeit in Misskredit gezogen haben. Und der Papst tut vieles dafür, glaube ich, dass da wirklich aufgeräumt wird. Und ich glaube, da kann er sich einig sein mit dem ja durchaus praktizierenden Katholiken Joe Biden, der als zweiter Katholik auf dem Präsidentenstuhl in Washington sitzt, im Laufe der Geschichte der USA. Beide ziehen da an einem Strang, wie auch an zwei anderen Dingen, beispielsweise bei der Bekämpfung der Pandemie. Der Papst hatte kurz zuvor noch mal in einem BBC-Interview die Pharmaindustrie dazu aufgerufen, die Patente für die Impfungen freizugeben, damit weltweit mehr geimpft werden kann gegen Covid-19. Und er hatte in einem zweiten Aufruf, im Blick auf den Klimawandel, noch einmal ein sehr starkes Wort dafür eingelegt, dass die am Sonntag in Glasgow beginnende COP26 wirklich ein nachhaltiges Festzurren der Ziele erreicht, was ja mehr als zweifelhaft ist, angesichts der Situation in der Europäischen Union und in den USA, aber erst recht der Situation in Indien, China und in Russland.
DOMRADIO.DE: Es gab ja im Vorfeld auch Vermutungen, dass die beiden auch über die liberale Haltung Joe Bidens zur Abtreibung sprechen werden. Weiß man da schon was?
Prömpers: Da ist bisher nichts offiziell verlautbart worden, aber man kann sicher davon ausgehen, dass der Papst einiges an Verständnis für die schwierige Lage des amerikanischen Präsidenten geäußert haben wird. Dafür spricht die Tatsache, dass rechtzeitig zu diesem Besuch, Kardinal Raymond Burke, der ein Verschwörungstheoretiker ist, und heftigst gegen Franziskus kämpft, noch mal in einem 3000 Worte umfassenden Text auf seiner Website gefordert hat, die amerikanische Bischofskonferenz, die in etwa drei Wochen in Baltimore tagen wird, möge doch die Exkommunikation von Biden aussprechen, wegen seiner Haltung zur Abtreibung. Biden hat immer klar gemacht, dass er generell Abtreibung für falsch hält, aber den Frauen die Möglichkeit der Abtreibung nicht generell versagen will, so wie es die gesetzliche Lage in den USA seit 1971 ergibt. Das ist für ihn persönlich ein Zwiespalt als glaubender Katholik, aber als Politiker will er durchaus die Gesetze, die da sind, achten. Und ich nehme an, dass wird er dem Papst auch klar erklärt haben. Und ich nehme sogar an, dass der Papst dafür in gewissem Maße Verständnis hat, obwohl er sonst immer allen Staats- und Regierungschefs ins Gewissen redet, Abtreibungen ebenso wie Todesstrafen nicht weiter zu verfolgen.
Das Interview führte Heike Sicconi.