Elizabeth Abuk verlor 2014 ihre jüngere Schwester, deren Mann und drei der Kinder. Sie wurden getötet und verbrannt, als bewaffnete Männer in ihr Heimatdorf in Kaduna, im Zentrum Nigerias eindrangen. Danach sei sie dorthin gegangen und habe die sterblichen Überreste mit einer Schubkarre eingesammelt, erinnert sie sich: "Obwohl sie nicht mehr identifizierbar waren, es waren nur noch Knochen, die ich begraben konnte." Noch heute steigen Elisabeth die Tränen in die Augen, wenn sie davon erzählt. Ihre Stimme versagt.
Sie gehört zu den Mitbegründerinnen des "Women’s Interfaith Council", einer Initiative, die sich in Nigeria für den interreligiösen Dialog zwischen Muslimen und Christen einsetzt. Doch nach dieser Tragödie hätte sie den Glauben an Frieden und Versöhnung fast verloren.
Seit Jahrzehnten Gewalt
Gewalt und Massaker sind in Nigeria an der Tagesordnung. Vor allem im Zentrum des Landes entladen sich die Konflikte, bei denen allein in diesem Jahr schon hunderte Menschen getötet wurden. Auch wenn diese oft als religiös motiviert gelten, geht es im Kern um etwas anderes, erklärt Bettina Tiburzy vom katholischen Missionswerk missio in Aachen: In Nigeria mit seinen über 200 Millionen Einwohnern ist der Kampf um Land, Weiderechte und den Zugang zu Wasser groß. Hintergrund sind Landstreitigkeiten zwischen den Hirten der muslimischen Fulani-Volksgruppe und den christlichen Bauern.
Eine Folge des Klimawandels, so Tiburzy, "weil es immer trockener wird, müssen die Hirten weiter in den Süden ziehen." Zudem seien Armut, Arbeitslosigkeit und die uferlose Korruption gravierende Probleme. Doch Medien und Politik deuten das Problem, das eigentlich ein politisches und wirtschaftliches ist, allzu häufig zu einem ethnischen oder religiösen Konflikt um. Auch, weil viele davon profitieren, wie etwa die islamistische Terrorgruppe Boko Haram, die seit Jahren im Norden Nigerias wütet. Immer wieder werden Schulkinder und Studierende entführt mit dem Ziel, hohe Lösegeldforderungen zu stellen. Die Entführungswelle betrifft auch Seminaristen und Priester der katholischen Kirche.
Frauen helfen einander
In diesem aufgeheizten Klima gründete die irische Ordensschwester Kathleen McGarvey von den Missionary Sisters of Our Lady of Apostles (OLA) im Jahr 2010 in Kaduna das "Women’s Interfaith Council". Die Organisation, die auch unter dem Namen "Mütter für den Frieden" bekannt ist, setzt sich für ein friedliches Zusammenleben von Christen und Muslimen ein; eine von Laiinnen getragene Initiative mit insgesamt rund 12.650 christlichen und muslimischen Frauen. Frauen wie Elisabeth Abuk, die mitansehen mussten, wie ihre Töchter, Söhne und Ehemänner ermordet wurden. Die selbst Opfer von Gewalt und brutal verstümmelt wurden. Witwen, die kein Einkommen mehr haben.
Beim "Women’s Interfaith Council" erhalten die Frauen Traumatherapien und medizinische Versorgung. Frauen, die bei Angriffen verstümmelt wurden, erhalten medizinische Prothesen; die Frauen helfen einander, unabhängig von der Religion. Daneben organisieren sie Workshops für Frauen, Jugendliche und Religionsführer, um präventiv Gewalt zu verhindern. Themen sind Friedensbildung, Konfliktanalyse und -transformation sowie interreligiöse Verständigung.
Tiefe Gräben
Einfach sei das nicht, sagt Schwester Veronica Onyeanisi, die heute das Projekt leitet: Viele Nigerianer seien der Meinung, dass es so etwas nicht brauche. "Durch die jahrelange Gewalt in Kaduna sind die Gräben zwischen Muslimen und Christen so groß, dass es unglaublich schwer ist, diese zu überbrücken."
Hilfe bekommen die couragierten Frauen unter anderem von missio in Aachen. Dort ist man besonders stolz, dass die langjährigen Projektpartnerinnen jetzt mit dem Aachener Friedenspreis geehrt werden. Das, so hofft man, wird den Frauen auch im Land mehr Gehör verschaffen. "Die Frauen sind Vorbilder für uns und ihre Arbeit ist ein wichtiger Baustein für eine friedliche Zukunft Nigerias", sagt missio-Präsident Pfarrer Dirk Bingener. Und auch der Erzbischof von Abuja, Ignatius Kaigama, findet, dass der Preis gerade zur rechten Zeit kommt: "In Nigeria sind Frauen immer noch benachteiligt, dabei haben sie der Gesellschaft so viel zu geben: Als Schwestern, Frauen und Mütter sind sie so wichtig für die Friedenserziehung!"
Elisabeth Abuk engagiert sich auch heute noch für das Projekt, auch der Mord an ihrer Schwester konnte ihr am Ende nicht den Glauben an ein friedlicheres Land nehmen. Was könne sie auch sonst tun, fragt die 64-Jährige. "Wenn wir nichts machen, geht das Töten immer weiter. Ich träume davon, dass wir mit unserer Arbeit ein besseres, friedliches Nigeria erreichen können."
Ina Rottscheidt