Hebamme Samar Qumsiyeh verteilt Weihnachtsschmuck. Eine halbe Stunde vor Mitternacht hat sie die Nachtschicht übernommen. Über den Korridor der Geburtsstation im katholischen Sankt-Joseph-Krankenhaus in Ostjerusalem hallt Fairouz' arabische Version von "Stille Nacht". Bis jetzt war es das: eine ruhige Nacht. Weitere Geburten kündigten sich in an diesem Heiligabend nicht an, sagt die Christin aus Beit Sahour, und befestigt Tannengrün an der Decke. Dann kommt Adam.
Wenige Minuten vor Mitternacht muss die Hebamme ihre Prognose revidieren: Es wird eine betriebsame Nacht. Gleich mehrere Schwangere kommen auf die Geburtsstation. Die gelöste Stimmung des Teams weicht einer professionellen Routine. Hektik kommt keine auf. Ruhe und viel Aufmerksamkeit für die werdenden Mütter, dafür sind sie bekannt in dem kleinen Krankenhaus.
Keine medizinischen Übereingriffe in die Geburt
In vielen anderen Kliniken arbeitet das Personal mit einer sehr hohen Zahl von Gebärenden, erklärt Schwester Valentina Sala. Die italienische Ordensfrau, selbst gelernte Hebamme und seit kurzem Provinzialin der Sankt-Josephs-Schwestern, ist verantwortlich für die Geburtsstation. "Das zwingt sie, wie in einer Fabrik zu arbeiten."
Nicht nur Zeit für jede einzelne Gebärende hat sich ihr Krankenhaus auf die Fahnen geschrieben. "Wir haben die Geburtsstation 2015 eröffnet mit dem Ziel, einen Ort zu schaffen, an dem die natürliche Geburt respektiert wird", sagt Sala. Die in vielen Kliniken verbreitete Tendenz medizinischer Übereingriffe in die Geburt soll es hier nicht geben.
Nicht nur die arabische Bevölkerung weiß das zu schätzen. Seit 2017 die Möglichkeit der Wassergeburt eingeführt hat - "seinerzeit in Jerusalem etwas ganz Neues" - gehören jüdische Patientinnen zum Alltag des Krankenhauses. Die 39-jährige Efrat aus Beerscheba ist eine von ihnen. Für die Geburt ihrer vierten Tochter wünscht sie sich eine bessere Erfahrung als im "überfüllten, strikten und konventionellen" Soroka-Krankenhaus, in dem die anderen Töchter geboren wurden.
"Ich wünsche mir eine natürlichere Geburt und weiß, dass es hier möglich ist." Statt zu acht teilt sich Efrat hier mit nur einer Frau das Zimmer; einer Palästinenserin - auch das Teil der Erfahrung, nach der die sich als "politisch links" bezeichnende Frau sucht. "Es ist für mich wichtig, zu erfahren, wie es ist, eine Minderheit zu sein."
"Keine Probleme mit den religiösen Unterschieden"
Durch Mund-Propaganda entscheiden sich immer mehr Jüdinnen für Sankt Joseph - eine Entwicklung, die in einer konfliktträchtigen Stadt wie Jerusalem alles andere als selbstverständlich ist. Die ersten Schritte auf diesem Weg habe man behutsam gehen müssen, sagt Schwester Valentina. Auf beiden Seiten herrschte anfangs eine gewisse Angst. "Die Erfahrungen unserer palästinensischen Hebammen mit jüdischen Israelis beschränkte sich auf Soldaten an den Checkpoints. Auch jüdische Paare fragten, ob es für sie gefährlich sei, in ein palästinensisches Krankenaus zu kommen. Und nicht zuletzt sind die kulturellen Unterschiede beim Nahen der Geburt groß."
Nichts davon merkt man in dieser Nacht. "Wir haben keine Probleme mit den religiösen Unterschieden", sagt Hebamme Hadeel al-Muti, "wir arbeiten mit den Müttern als Mensch, nicht entsprechend einer Hautfarbe, Religion oder ähnlichem". Auch das Team ist muslimisch-christlich gemischt, "es macht einfach keinen Unterschied", so die 28-jährige Muslimin.
Religion habe weder positiv noch negativ eine Rolle gespielt bei der Wahl des Krankenhauses, sagt auch Shireen zwischen zwei Wehen. Dass vielleicht eine jüdische Mutter ihr Zimmer auf der Wöchnerinnenstation teilen wird? "Völlig normal!" Ihre beiden ersten Kinder seien hier auf die Welt gekommen, sagt ihr Mann Mahmud. "Das Team hier ist gut, das Essen ist gut, einfach eine rundum gute Erfahrung."
Fünf Neugeborene in einer besonderen Nacht
Diese guten Erfahrungen seien bei allen bleibenden Herausforderungen eine Gnade, sagt Schwester Valentina. "Was vorher schon unser Selbstverständnis war, nämlich den Menschen ohne Unterschied zu sehen, dieses Prinzip ist Realität geworden. Es ist schön zu sehen, dass man diese Realität leben kann."Auch in dieser Nacht wird in Sankt Joseph in genau diese Realität geboren. Für das Team mache es "nach so vielen Feiertagen im Dienst" zwar keinen großen Unterschied mehr, ob Weihnachten sei oder nicht, sagt Gynäkologe Hazem Ghneimat.
Manch werdender Mutter aber geht der Gedanke durch den Kopf. Efrats Tochter etwa sollte an Tu Bischwat, dem jüdischen Neujahr der Bäume in drei Wochen, geboren werden. Wegen Unregelmäßigkeiten bei der letzten Untersuchung behielten die Ärzte sie jedoch hier. "Vielleicht kommt sie stattdessen an Weihnachten, auch das wäre für mich bedeutungsvoll."
Doch erstmal kommt ein anderes Kind. Mutter Shireen gebiert leise. Nur ab und an gibt sie ein Stöhnen von sich. Einmal noch drückt sie die Hand von Mahmud, um 0 Uhr 59 dann ist das Weihnachtsbaby des Sankt-Joseph-Krankenhauses auf der Welt. Adam, Mensch, soll ihr Sohn heißen, sagen die glücklichen Eltern.
Fünf Kinder werden es sein, die am Ende dieser besonderen Nacht in Sankt Joseph mit offenen Armen in der Welt empfangen wurden. Ein schöneres Weihnachten könne sie sich nicht vorstellen, sagt Schwester Valentina, denn "ganz gleich, welches Kind geboren wird, ob Jude, Muslim oder Christ, Israeli oder Palästinenser: Es ist das größte Geschenk des Lebens". Und "genau das ist Weihnachten: die Arme zu öffnen und das kleine Kind mit Zärtlichkeit zu empfangen, damit es in diesen Armen wachsen kann".