DOMRADIO.DE: Sie haben Desmond Tutu immer wieder getroffen und mit ihm gesprochen. Wie haben Sie ihn erlebt?
Stefan Hippler (Katholischer Priester und Aids-Aktivist in Südafrika): Ich habe Desmond Tutu erlebt als jemanden, der eigentlich immer gut gelaunt war, der immer ein Lächeln auf den Lippen hatte, der auch immer wieder einen Spaß oder einen Witz erzählt hat, aber der auch versucht hat, dann die Kurve zu kriegen, um wichtige Themen anzusprechen.
Man konnte mit ihm über wirklich alles reden. Er hatte eine ganze Bandbreite von Themen: über Politik, Kirche, HIV/Aids, Kinder, ... Er war ja auch Patron des Tygerberg Kinderkrankenhauses. Er hat sich um so viele Themen gekümmert. Daher war er ein Mann, mit dem man über alles reden konnte.
DOMRADIO.DE: Wenn sich ein Kirchenmann für Homosexuelle und für den Kampf gegen HIV im Land einsetzt, wie schwer ist das für so einen Kirchenmann? Welche Reaktionen hat sein Einsatz mit sich gebracht?
Hippler: Sein Einsatz hat eigentlich sehr positive Reaktionen hervorgebracht. Wir müssen bedenken, es ist die anglikanische Kirche, die sicherlich in vielen Fragen wesentlich lockerer ist als zum Beispiel die römisch-katholische Kirche. Gerade die Randgruppen waren immer sehr dankbar gewesen, dass sie auch in seinem Fokus waren, weil sein Wort Gewicht hatte.
DOMRADIO.DE: Was würden Sie sagen, war sein wichtigster Beitrag im Kampf gegen die Apartheid?
Hippler: Da gibt es zwei Dinge, die ganz wichtig sind im Kampf gegen die Apartheid. Einmal sicherlich, als er als Kirchenmann zum Boykott aufgerufen hat. Das ist überall gut angekommen. Da hatte er gesagt, die anderen Staaten bzw. die Staatengemeinschaft müssen aufhören, mit Südafrika wirtschaftliche Beziehungen aufrechtzuerhalten. Sie müssen Südafrika wirtschaftlich zwingen, die Apartheid aufzugeben.
Der zweite wichtige Aspekt war am Ende der Apartheid, als es um die Aufklärung der Verbrechen ging, als er der Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission) vorgesessen hat. Das war ein ganz wichtiger Punkt der Aufarbeitung von Apartheid.
DOMRADIO.DE: Er soll ja mit dem derzeit regierenden "Afrikanischen Nationalkongress" (ANC) nicht sehr zufrieden gewesen sein. Hat er sich noch politisch zu Wort gemeldet?
Hippler: Ja, ein Jahr ohne eine politische Wortmeldung von Desmond Tutu war fast unmöglich in Südafrika - bis zuletzt im Übrigen. Er hat damals sehr stark vor Jacob Zuma gewarnt, dass er moralisch nicht in der Lage sei, ein Land zu führen. Er hat einmal sogar gesagt, er könnte nicht mehr den ANC wählen, als es um die Korruption ging, auch in den Zuma-Jahren.
Er ist immer wieder aufgestanden, auch gegen den ANC. Und der ANC hat es ihm gedankt, indem er beim Tod von Nelson Mandela nicht als Sprecher bei der Beerdigung auftreten durfte. Das hat Desmond Tutu sehr wehgetan. Das hat er auch immer wieder gesagt.
DOMRADIO.DE: War er als Kirchenmann in seinem politischen Engagement denn eine Ausnahme in Südafrika?
Hippler: In der Art und Weise, wie er es gemacht hat, war Desmond Tutu sicherlich eine Ausnahme. Es gibt immer wieder Kirchenführer, die hochkommen, die auch was sagen, aber er hat sein ganzes Leben lang - wirklich von Anfang an seiner kirchlichen Karriere - bis zu seinem Tod sehr konsistent immer wieder Werte eingefordert.
DOMRADIO.DE: Was für eine Kirche stand er dabei?
Hippler: Er stand für eine offene Kirche. Er stand für eine Kirche, wo jeder willkommen ist. Ob schwarz, ob weiß, ob schwul oder lesbisch, ob krank oder gesund. Er hat mal gesagt, er möchte nicht in einen Himmel kommen, wo Homosexualität verboten ist, wo der liebe Gott das nicht mag. Er war wirklich jemand, der die Menschheit umarmt hat und versucht hat, die Werte weiterzugeben, die ihm wichtig waren, dass Menschen sich einander verstehen und respektieren.
DOMRADIO.DE: Wie wird man jetzt bei Ihnen im Land Desmond Tutu in Erinnerung gehalten?
Hippler: Ich denke, jetzt wird es erst einmal sehr viele Events geben und sehr viele Zeremonien und Gedenkfeiern, um ihn zu ehren, sowohl hier in Kapstadt als auch in Orlando in Soweto, wo er sein zweites Zuhause hatte.
Speziell in Kapstadt wird es sicherlich Veranstaltungen geben, die sich mit der Auslegung seiner Worte in der heutigen Zeit beschäftigen, mit der Frage welche Geltung diese noch haben können. Ich denke, er hat eine Spur in der Geschichte Südafrikas hinterlassen, die so leicht nicht auszuhebeln ist.
Das Interview führte Tobias Fricke.