Desmond Mpilo Tutu ist tot. Die "Stimme der Schwarzen", wie Nelson Mandela ihn nannte, ist verstummt. Südafrika hat seinen Lügendetektor verloren - und die vielleicht letzte seiner großen moralischen Instanzen. Zu Weihnachten starb der Friedensnobelpreisträger im Alter von 90 Jahren, wie Staatspräsident Cyril Ramaphosa (Sonntag) mitteilte. Die "Regenbogennation", von der Tutu immer träumte, musste er als Rumpfprojekt zurücklassen - wenn nicht gar als Bauruine.
Hoffnungsträger gegen den Apartheid-Staat
Als seit Mitte der 70er Jahre die meisten Schwarzen-Führer im Gefängnis saßen, wuchs Desmond Tutu mehr und mehr in die Rolle des Hoffnungsträgers gegen den Apartheid-Staat hinein. Die weißen Machthaber zogen mehrfach seinen Pass ein, verhafteten ihn.
Doch noch vor Gericht klagte er die vermeintlich christlichen Politiker an, die ihre Parlamentssitzungen mit einem öffentlichen Gebet begannen: "Unser Gott macht sich etwas daraus, dass Kinder in 'Umsiedlungslagern' verhungern - so nennt man ja wohl diese Schuttabladeplätze für die armseligen Opfer dieses gemeinen und bösartigen Systems. Der Gott, den wir anbeten, macht sich etwas daraus, dass Menschen unter mysteriösen Umständen in Untersuchungshaft sterben."
Ernennung zum Erzbischof von Kapstadt
Je mehr Tutu an weltweitem Ansehen und Autorität erwarb, desto weniger angreifbar wurde er im eigenen Land. Er scheute sich nicht, im Ausland zum Wirtschaftsboykott gegen Südafrika aufzurufen. Für seinen "gewaltlosen Einsatz gegen das Apartheid-Regime" wurde er 1984 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet und im selben Jahr zum anglikanischen Bischof von Johannesburg gewählt - als erster Schwarzer. Nur zwei Jahre darauf folgte die Ernennung zum Erzbischof von Kapstadt und damit zum Oberhaupt der zwei Millionen Anglikaner des Landes. Seine Wahl stieß jedoch auch auf Kritik: Viele weiße Anglikaner - durchaus nicht nur Freunde des Systems - sahen darin ein "billiges Nachgeben" gegenüber dem militanten schwarzen Lager und befürchteten eine Politisierung des Amtes.
Streitbarkeit und Furchtlosigkeit waren für den ironischen und rhetorisch brillanten Kirchenführer jedoch keineswegs Zeichen von Gewaltbereitschaft: "Ob es mir passt oder nicht, ob es ihm passt oder nicht - Präsident Botha ist mein Bruder, und ich bin verpflichtet, ehrlich für sein Wohl zu beten", so seine Botschaft bei der Amtseinführung in Kapstadt. Immer wieder wurden jedoch auch Stimmen laut, die Tutus Neigung zur Demagogie kritisierten und Zweifel an seiner Fähigkeit zur Integration anmeldeten.
Selbstbezeichnung Quälgeist
Mit dem Ende des Apartheid-Staates zu Beginn der 90er Jahre war die "moralische Wende" in Südafrika noch lange nicht geschafft. Die wohl undankbarste Aufgabe stand dem "Quälgeist" (Tutu über Tutu) noch bevor. Als Vorsitzender der "Kommission für Wahrheit und Versöhnung" hörte er Opfer und Täter des Systems an - 20.000 Fälle der Jahre von 1960 bis 1994 wurden in drei Jahren untersucht.
Freunde konnte sich der streitbare Bischof damit nicht machen. Nicht nur die ehemaligen Machthaber, darunter Friedensnobelpreisträger de Klerk, brachen mit der Kommission; auch die ehemaligen "Opfer" des nun regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) versuchten in einem unwürdigen Schauspiel, die Veröffentlichung des 3.500 Seiten langen Abschlussberichts zu verhindern. Denn die Kommission hatte ohne Scheu auch die Folterungen, Attentate und Mordbefehle der Schwarzen-Organisation angeprangert. "Ich habe nicht mein Leben lang gegen Tyrannei gekämpft, um sie durch eine andere Form der Tyrannei ersetzt zu sehen", erklärte Tutu damals wütend.
Keine Zukunft ohne Versöhnung
Sein Credo: Keine Zukunft ohne Versöhnung. "Vergebung bedeutet", so der geistliche Friedensnobelpreisträger, das Recht aufzugeben, es dem Täter mit gleicher Münze heimzuzahlen". Doch der Lohn für solche Unbestechlichkeit waren zunächst vor allem Lügen, Tränen, neuer Hass. Zwei Drittel aller Südafrikaner, egal welcher Hautfarbe, waren überzeugt, die Kommission habe nicht zur Versöhnung beigetragen, sondern die Gräben zwischen den Rassen vertieft. Darin war sich Tutus "Regenbogennation" einig - in der Uneinigkeit. Nun aber sollte sie einmal wieder wirklich vereint sein: in der Trauer um einen ihrer ganz großen geistigen Führer.
Seit er auch all seiner vielen Ehrenämter ledig ist, hörte man die "Stimme der Schwarzen" zuletzt nur noch selten. Tutu wollte sich endlich für den Rest seiner Lebenszeit seiner Familie widmen. Um die Vision seiner und Mandelas "Regenbogennation" wird es freilich immer stiller. Die ANC-Regierungen verwalten das Erbe der Anti-Apartheid-Kämpfer schlecht.