Wirklich neu sind die Forderungen nicht: Die katholische Sexualmoral soll anhand neuer Erkenntnisse der Humanwissenschaften und der Theologie weiterentwickelt werden, Segnungsfeiern soll es auch für gleichgeschlechtliche Paare geben und die sexuelle Orientierung soll nicht mehr problematisch für das Arbeitsverhältnis sein. Neu indes ist die Schlagkraft, mit der sie erhoben werden: 120 Menschen outen sich in der TV-Dokumentation "Wie Gott sie schuf" im Ersten und im Rahmen der Kampagne "#OutInChurch - für eine Kirche ohne Angst". Rund 20 katholische Verbände haben bereits ihre Solidarität bekundet.
Die Menschen, die nun an die Öffentlichkeit gehen, sind nicht nur katholisch und queer: Viele von ihnen sind in katholischen Einrichtungen beschäftigt. Ihr Coming-Out kann daher arbeitsrechtliche Konsequenzen haben - bis hin zur Kündigung. Denn Beschäftigte bei der Kirche gehen mit ihrem Arbeitsvertrag auch Loyalitätsverpflichtungen ein. Diese sehen vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihr Leben an der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre ausrichten. Und der in diesem Zusammenhang gern zitierte Katechismus ist in Sachen Homosexualität klar.
Die Eindeutigkeit des Katechismus nur auf dem Papier?
Sie sei ein "vielschichtiges Phänomen", konstatiert das Buch zu den Grundfragen des Glaubens von 1992. Homosexualität bringe im Vergleich zur Heterosexualität "Beeinträchtigungen" mit sich und sei aufgrund der Schöpfungsordnung nicht als "gleichwertige sexuelle Prägung" anzusehen. Der Katechismus lehnt "jede Diffamierung homosexuell veranlagter Menschen" ab, erklärt jedoch zugleich: "Eine kirchliche Anerkennung als Institution können gleichgeschlechtliche Partner nicht erlangen."
Auf dieser Linie befindet sich die katholische Lehre bis heute - eine Eindeutigkeit, die aber vor allem auf dem Papier existiert. Der Graben mit verschiedenen Meinungen zu Bedeutung, Entwicklung und möglicher Revision offizieller Kirchenlehre durchzieht derweil Bistümer, theologische Fakultäten und Kirchengemeinden.
Beim Synodalen Weg und in Segnungsgottesdiensten schon weiter
Ein Beispiel: Im März vergangenen Jahres bekräftigte die Glaubenskongregation erneut, die katholische Kirche habe keine Vollmacht, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu segnen, weil sie nicht dem göttlichen Willen entsprächen. Damit sorgte sie in Deutschland für erhebliche Diskussionen. Während manche Theologen und katholische Stimmen dem vatikanischen Dokument viel Zustimmung entgegenbrachten, formierte sich vielerorts erheblicher Widerstand.
Auf Initiative von mehreren Seelsorgern fanden bundesweit im Rahmen der Aktion #liebegewinnt Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare statt. Die deutschen Bischöfe kamen in ihrer Bewertung des römischen Schreibens zu durchaus unterschiedlichen Auffassungen. Aktuell befasst sich auch der katholische Reformprozess Synodaler Weg mit Fragen zur Sexualmoral.
Die Initiative #OutInChurch schließt also ziemlich nahtlos an bereits bestehende Debatten an, setzt aber auch neue Schwerpunkte. Sie spricht von queeren Personen in der katholischen Kirche - um zu zeigen, dass Fragen von Sexualität und Geschlechtsidentität nicht nur in den Kategorien von Hetero- und Homosexualität zu denken sind. Der Fokus der Aktion liegt auch auf trans, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen.
Queere Menschen in der Kirche seien im System nicht vorgesehen, heißt es in dem Ende vergangenen Jahres erschienenen Buch "Katholisch und Queer". Mit Blick auf queere Menschen in kirchenrechtlichen Bestimmungen äußert sich der Freiburger Theologe Georg Bier in eine ähnliche Richtung. "Der Gesetzgeber hatte diese Sachverhalte bislang nicht im Blick und deswegen sind sie auch nicht implizit berücksichtigt", erklärt er auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Eine diskriminierende Kirche könne sich nicht auf das Wort Jesu berufen
Im Manifest der neuen Initiative heißt es, dass die Lebensentwürfe queerer Menschen "vielfältige Erkenntnisorte des Glaubens und Fundstellen göttlichen Wirkens" seien. Ihre Forderungen stellen sie nicht nur für die queere Community, sondern für die gesamte Kirche: "Eine Kirche, die in ihrem Kern die Diskriminierung und die Exklusion von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten trägt, muss sich fragen lassen, ob sie sich damit auf Jesus Christus berufen kann."
Bewegung ist derweil nicht nur in die innerkirchlichen Debatten gekommen, sondern auch in die juristische Bewertung des kirchlichen Arbeitsrechts. So erklärte etwa 2019 das Bundesverfassungsgericht die Kündigung eines Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus wegen Wiederheirat für unwirksam. Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen wurde damit ein stückweit eingeschränkt. Und das könnte auch Folgen haben für queere Menschen im kirchlichen Dienst.
Besonders heikel ist das Coming-Out für diejenigen, die für ihre Arbeit wegen der großen Nähe zur Verkündigung der Kirche eine eigene kirchliche Erlaubnis brauchen - etwa Pastoralreferentinnen oder Religionslehrer. Ob ihr Bekenntnis zur Kündigung führt, wird auch von Ermessen und Auslegung der kirchlichen Arbeitsrichtlinien durch den jeweiligen Ortsbischof abhängen.