"Hol Dir den Pick" – das Schild mit dem einladenden Imperativ am Eingang der Tanzschule Van Hasselt in leuchtendem Türkis ist unübersehbar und weist den Weg. Wer sein Smartphone an den hier installierten QR-Code hält, kann sich bereits an der Haustüre registrieren, um ohne längere Wartezeit an den nächst freien Platz zur Überprüfung der eingegebenen Daten geführt zu werden. Auch jeder weitere Schritt ist genau getaktet: erst das Ausfüllen des Anamnesebogens mit Unterschrift – auf Wunsch mit ärztlicher Assistenz – dann die Dokumentation mit aktuellem Eintrag im Impfpass. Erst-, Zweit- oder Booster-Impfung – alles ist möglich. Und je mehr Impfwillige kommen und dieses Angebot nutzen, desto besser.
So jedenfalls sieht das Dr. Gunther Quinkler, Chefarzt der Abteilung Innere Medizin und Intensivmedizin des St. Agatha-Krankenhauses in Köln-Niehl. Daher gehörte er auch zu den Ersten, die angesichts einer alarmierenden Infektionsrate mit dem jüngsten Erreger Omikron Eigeninitiative entwickelt haben. Bereits Anfang Dezember hat er im Rückgriff auf Klinikkollegen und Pflegepersonal aus dem Agatha, aber auch auf Mitglieder der eigenen Familie innerhalb kürzester Zeit ein überraschend großes Impfteam Freiwilliger auf die Beine gestellt – und die für eine solche Aktion notwendige Infrastruktur samt Website. Innerhalb der Verwandtschaft – seine Frau, ebenfalls Ärztin, ist eine Cousine von Tanzlehrerin Bettina van Hasselt – findet sich auch schnell ein geeigneter Ort fürs Impfen im großen Stil: der weiträumige Tanzsaal der Van Hasselts mit modernster Lüftungsanlage. "Fast OP-Bedingungen", schwärmt Quinkler von den idealen Voraussetzungen für die Realisierung seiner Idee. Gedimmtes Partylicht in wechselnden Neontönen sowie leuchtende Minibirnen an der Spiegeldecke inklusive. Eine coole Location, auf die vor allem junge Leute ansprechen.
6000 verimpfte Dosen nach elf Terminen
Denn wo sich sonst Paare im Walzerschritt wiegen oder einen flotten Disco-Fox aufs Parkett legen, ist mehr als eine originelle Kooperation entstanden, die für beide Seiten eine Win-win-Situation bedeutet. Nach der insgesamt elften Impfveranstaltung hat sich die Lindenthaler Adresse am Karl-Schwering-Platz, eine Seitenstraße der Dürener und im Internet zu finden unter corona-lindenthal.de, nämlich längst als offizielles Impfzentrum etabliert. Für die während der Lockdowns lange geschlossene Tanzschule, in der gerade die neue Saison wieder anläuft, ist es nach abgesagten Debütantenbällen und vielen, vielen ausgefallenen Unterrichtsstunden eine willkommene Werbekampagne – und für Quinkler eine zusätzliche Unterstützung bei seinem erklärten Kampf gegen Covid, den er unter der Woche im St. Agatha stemmt.
"Die Nachfrage ist immer noch groß. Das zeigen die knapp 6000 verimpften Dosen", stellt der Mediziner zufrieden fest. Nach den Booster-Kandidaten kämen mittlerweile auch die Zwölf- bis 17-Jährigen, darunter viele Tanzkursabsolventen im Teeniealter. Aber auch Kinder in Begleitung ihrer Eltern sind nun mit dabei, beobachtet er. "Selbst wenn der Andrang zu Beginn weitaus größer war und die anfänglich sechs Stunden jeden Samstag inzwischen auf die Hälfte heruntergefahren werden konnten, vermeiden wir lange Warteschlangen und dadurch zusätzliche Ansteckungsgefahren", erklärt Quinkler. Und dass zu Spitzenzeiten weit über 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichzeitig im Einsatz gewesen seien, darunter immer mehrere Impfärzte in provisorisch aufgestellten Kabinen.
Warnung vor hohem Krankenstand beim Pflegepersonal
"Eine voll elektronische Erfassung hilft bei der Logistik. Termine, die alles in allem am Ende nur 20 Minuten Verweildauer bedeuten, können, müssen aber nicht vorab im Internet gebucht werden." Außerdem würde jeder Piks ans Robert-Koch-Institut zwecks Datenerhebung weitergeleitet; auch ausreichende Impfstoffmengen, nach Altersgruppen sortiert, seien immer vorhanden, versichert der Mediziner und verweist auf die Bar. Selbst hier stimmt die Detailarbeit. Wo sonst der eine oder andere Cocktail geschlürft wird und nach schweißtreibenden Bewegungen Softdrinks den Durst löschen, ist geschultes Fachpersonal ausschließlich mit dem Aufziehen der Spritzen beschäftigt.
"Nicht jammern, sondern machen", lautete Quinklers Devise, als er im Advent – wie viele seiner Kollegen auf den Intensivstationen – fürchtete, zum nahenden Weihnachtsfest komme seine Klinik, ein Krankenhaus der Grundversorgung im Kölner Norden, an seine Kapazitätsgrenzen. Das vielerorts gemalte Horroszenario einer Totalauslastung sämtlicher Intensivbetten mit einem erschöpften Pflegepersonal am Limit ließ damals dramatische Zustände befürchten. Inzwischen zeigt sich, dass zumindest diese Sorge unbegründet war, jedenfalls im Agatha derzeit nur sehr vereinzelt Corona-Patienten eine Intensivtherapie benötigen, die weitaus größere Mehrheit auf der Isolierstation behandelt werden kann. Dafür warnt der Chefarzt jetzt davor, dass die explodierende Ausbreitung des Virus mit täglich neuen Höchstwerten zu einem entsprechend alarmierenden Krankenstand unter den Pflegenden führen und Quarantäne einen Großteil der Belegschaft lahm legen könnte.
Abschwung nur durch Immunität der Bevölkerung
"Unser strategisches Ziel muss daher im Moment sein, die Welle möglichst flach zu halten, damit sich vor uns keine Tsunami-Wand auftürmt, sondern eine Verzögerung neuer Erkrankungen erreicht wird, um die kritische Infrastruktur unserer Krankenhäuser nicht zu überfordern. Wir müssen unbedingt verhindern, dass sich zu viele Menschen gleichzeitig anstecken und damit ausfallen. Je mehr Personal fehlt, desto enger wird es." Andernfalls müssten einzelne Abteilungen ganz geschlossen werden. "Weil unser System das einfach nicht verkraftet", weiß Quinkler, der auch Mitglied im Gesundheitsausschuss der Stadt Köln ist. Schon jetzt würden nicht unbedingt dringende Eingriffe verschoben, um vorsorglich genügend Spielraum bei einer Verschlechterung der Lage zu haben.
Letztlich sei ein Abschwung nur durch die Immunität in der Bevölkerung zu erreichen. Daher lautet Quinklers Credo auch: Impfen, impfen, impfen. "Jeder, der sich impfen lässt, trägt zu einer zunehmenden Immunisierung und damit zur Beendigung der Pandemie bei." Nur durch zig millionenfaches Impfen in den letzten Wochen habe sich überhaupt erst das Blatt gewendet, betont der Internist und Intensivmediziner. "Das war der einzig richtige Weg, und ohne Omikron hätten wir es längst geschafft."
Dr. Quinkler: Mit dem Impfen haben wir eine Perspektive
Auch wenn diese Variante extrem infektiös sei und sich gerade unter den Jüngeren schlagartig verbreite, hätten sich alle düsteren Prognosen bislang nicht bewahrheitet. "Zum Glück", so der Fachmann. "Bei den meisten Patienten, die doppelt oder auch dreifach geimpft sind, zeigt sich ein harmloser Verlauf." Und trotzdem: Eine Verschärfung der Lage in den Kliniken sei absehbar, solange sich 20 Millionen Deutsche nicht impfen ließen. Selbst eine Durchseuchung bei einer derart großen Impflücke bedeute, dass Hunderttausende schwer erkrankten und das wiederum viele Tausende Corona-Tote zur Folge habe.
Das aber will der 62-Jährige auf keinen Fall noch einmal erleben. Die Bilder von nach Sauerstoff ringenden Patienten, die an Beatmungsgeräte angeschlossen waren und selbst in den Stunden des Abschieds keinen Besuch bekommen durften, sind nicht spurlos an dem erfahrenen Mediziner vorbeigegangen. "Auch wenn wir immer unser Möglichstes getan haben, gab es viel zu viele Menschen, die wir nicht retten konnten. Junge wie Alte. Außerdem bedeutete an Covid zu sterben, einsam zu sterben. Das waren furchtbare Erfahrungen, die uns oft hilflos und ohnmächtig zurückgelassen haben." Was sich mit dem Impfstoff inzwischen total geändert habe. "Nun können wir effektiv helfen, haben eine Perspektive. Und die gute Botschaft ist", unterstreicht Quinkler zuversichtlich, "jeder kann etwas dazu beitragen, dass es nicht wieder zum Schlimmsten kommt." Er jedenfalls werde in jeder freien Minute weiterimpfen. "Als Arzt gehört es zu meinen Aufgaben, dieses unsagbare Leid, wie wir es in den letzten zwei Jahren erlebt haben, zu verhindern. Und jede Impfung bringt mich diesem Ziel näher."