DOMRADIO.DE: Warum hält es eine Mehrheit des spanischen Parlaments und auch die spanische Regierung für nötig, dass die Missbrauchsfälle im Land staatlich aufgeklärt werden?
Thilo Schäfer (Freier Journalist in Madrid): Das liegt ganz einfach daran, dass sich die katholische Kirche hier bislang geweigert hat, eigene Ermittlungen einzustellen, so wie es in vielen anderen Ländern der Welt ja bereits geschehen ist. Der Druck war auch relativ groß in letzter Zeit. Die Tageszeitung El País hatte ein großes Dossier erstellt, mit über 200 dokumentierten Fällen von Missbrauch, bei der spanischen Bischofskonferenz eingereicht und auch an Papst Franziskus übergeben. Und selbst danach kamen kam nichts zurück, sodass die Regierung letzten Endes beschlossen hat, selbst tätig zu werden, in Form einer Kommission, die aber jetzt noch definiert werden muss.
DOMRADIO.DE: Die spanischen Bischöfe stehen der staatlichen Aufarbeitung also skeptisch gegenüber. Warum ist das so?
Schäfer: Anscheinend besteht dort kein Bedarf an Aufklärung. Es gibt verschiedene Positionen: die Bischofskonferenz hält sich noch bedeckt. Ganz offiziell gibt es keinen Kommentar. Inoffiziell haben einige Bischöfe durchscheinen lassen, dass man nicht will, dass sämtliche Missbrauchsfälle auf die Kirche reduziert werden, sondern auch andere Institutionen wie etwa Sportvereine untersucht werden sollten. Und dann gibt es noch Bewegungen aus der Kirche heraus, kirchliche Organisationen, die auch von der Basis her für eine Aufklärung sind. Aber die Bischofskonferenz hält sich bisher noch bedeckt und hat noch nicht gesagt, ob sie bei dieser von der Regierung geplanten Kommission mitwirkt oder nicht.
DOMRADIO.DE: Haben Sie das Gefühl, dass die Kirche in Spanien, die ja nach wie vor mächtig ist, unter Druck gerät?
Schäfer: Auf jeden Fall, an vielen Fronten. Man kann wirklich sagen, dass die Kirchenhierarchie in Spanien zu den konservativsten in ganz Europa zählt, bei vielen sozialen Themen, die auch in der Kirche zu einem Umdenken geführt haben. Die Machtposition der Kirche ist immer noch stark. Das kommt vielleicht noch aus der Zeit der Franco-Diktatur, wo es natürlich Staatsreligion war, die Kirche viele Privilegien hatte, die sie bis heute noch hat. Das Beispiel Immobilienbesitz: die Kirche zahlt keine Grundsteuer, natürlich nicht auf die Kirchen, aber auch auf anderen Immobilienbesitz, den sie hat. All das soll jetzt hier von der Linksregierung in Angriff genommen werden. Der politische Druck und auch der soziale Druck ist schon recht groß.
DOMRADIO.DE: In Deutschland treten immer mehr Menschen aus der Kirche aus. Nicht nur, aber auch wegen der, aus der Sicht mancher Menschen, mangelnden Missbrauchs-Aufarbeitung. Wie reagieren die Katholikinnen und Katholiken in Spanien denn auf die immer neuen Erkenntnisse, die ans Tageslicht kommen?
Schäfer: Das sorgt in Spanien auch für Aufruhr. Wie Sie sagen, es kommen in einiger Regelmäßigkeit neue Fälle zum Vorschein. Was in Spanien vielleicht anders ist, es gibt hier keine Austrittswelle, aus dem einfachen Grund, dass man gar nicht aus der Kirche austreten kann. Man ist praktisch mit der Taufe Mitglied. Die Kirchensteuer in Spanien ist, anders als in Deutschland, keine Option. Man kann in der Einkommensteuererklärung ankreuzen, ob man einen Teil seiner Steuer an die Kirche abtritt oder an andere soziale Zwecke. Man spart aber kein Geld dadurch und daher sind die Anreize für einen Austritt gar nicht gegeben. Eine Austrittswelle, wie wir sie in Deutschland gesehen haben, gibt es nicht. Aber natürlich, wenn man sich die Umfragen ansieht und wenn man auch in die Kirchen geht und die Zahl der Taufen und Hochzeiten sieht, nimmt das Interesse schon ab. Inwiefern das jetzt mit der Missbrauchsaufarbeitung zu tun hat, ist schwer einzuschätzen. Aber wie ich eben gesagt habe, es gibt auch sehr viele kirchliche Bewegungen, die Druck machen auf die Bischöfe, dass da wirklich mal klar Tisch gemacht wird.
DOMRADIO.DE: Ist schon zeitlich absehbar, wann es konkreter wird, wer jetzt wie aufklärt?
Schäfer: Es gibt verschiedene Vorschläge. Was wohl klar ist, dass man keine parlamentarische Untersuchungskommission einberufen will. Alle Seiten wollen verhindern, dass das zu so einem politischen Ping-Pong-Spiel wird. Es läuft auf eine Kommission mit unabhängigen Experten hinaus. Der letzte Vorschlag der spanischen Regierung ist, dass der spanische Ombudsmann, der selbst auch Politiker ist, aber offiziell unabhängig, diese Kommission leitet, damit auch Diskretion bei den Betroffenen gewahrt ist. Und das ist auch nicht klar, ob die spanische Bischofskonferenz bereit ist, dort mitzuwirken. Das wird man jetzt in den kommenden Wochen sehen. Aber ich denke mal, allzu lange wird das nicht dauern, bis man sich über das Format einig geworden ist.
Das Interview führte Dagmar Peters.