"Das hätte man ja kommunizieren können, dass nicht einmal Weihbischof Steinhäuser als Ersatz einspringt." Ein älterer Herr zeigt sich von der Nachricht, dass diesmal zum traditionellen "Aschermittwoch der Künstler" kein Pontifikalamt gefeiert werde, sondern Künstlerseelsorger Josef Sauerborn den Gottesdienst leitet, sichtlich empört. "Warum ohne Bischof? Das hat es doch noch nie gegeben." Und überhaupt: Warum würde so etwas denn nicht mitgeteilt. Das würde ja mal wieder ins Bild passen.
Auch Hannelie Brodbeck und ihr Begleiter sind überrascht. Naja, mit dem Vertreter Woelkis hätten sie schon gerechnet. Aber letztlich sei das für sie nicht so entscheidend. "Grundsätzlich ist dieser Aschermittwoch eine tolle Idee und für jemanden mit meiner katholischen Sozialisation ein absolutes ‚Muss’", argumentiert Brodbeck. "Von diesem Tag gehen immer wichtige Impulse aus. Hier stimmt einfach das Gesamtpaket: die Messe mit Austeilung des Aschekreuzes, die Vorträge, die stets besondere Musik, die Gespräche mit vielen, die man kennt und bei dieser Gelegenheit wiedertrifft, und ja, auch die gemeinsame Einnahme der Fastensuppe im Maternushaus. Solche eingespielten Rituale tun der katholischen Seele einfach gut", findet die 78-Jährige.
Eine besondere spirituelle Mischung
Gerade für Künstler, die sich bekanntlich ja schon mal gerne selbst als Freigeister sähen und nicht so sehr das typische Katholikenleben pflegten, wäre dieser Tag, der so ganz im Zeichen der Buße, Umkehr und Erneuerung stehe, ein sehr wichtiges Angebot. "Wir kommen seit vielen Jahren und wollen auf diese Begegnung von Kunst und Kirche nicht verzichten." Natürlich sei die Sache mit Woelki traurig und die Umstände hätten die Erwartungen an diesen Tag sehr belastet. "Aber mir geht es um meinen Glauben, weniger um Gottes Bodenpersonal. Das ist nicht das, was mich hier und heute beschäftigt. Mir geht es um Stärkung. Außerdem glaube ich an einen milden verzeihenden Gott." Von daher ließe sie sich auch nicht von den Protestkundgebungen und lautstarken Parolen vor der Kirchtür irritieren.
Eine Mitfünfzigerin in der ersten Bankreihe betont: "Es ist diese besondere spirituelle Mischung aus Einkehr, Besinnung auf sich selbst und immer wieder auch dem Mysterium des Glaubens, das mir den Gottesdienst am Aschermittwoch so bedeutsam macht." Auch Marianne Schwieren und Renate Sator sind seit vielen Jahren auf Einladung der Künstlerseelsorge mit dabei. Sie kämen immer als Team aus der Kunststation St. Peter, erklären sie. Auch wenn die aktuellen Diskussionen innerhalb der Kirche um die Rückkehr Kardinal Woelkis schlimm seien, nehme sie grundsätzlich eine Stimmung mit großen Fragezeichen wahr, sagt Schwieren. Aber in diesem Gottesdienst zu Beginn der Fastenzeit – ob mit oder ohne Erzbischof – sei sie eigentlich immer. Zu diesem Zeitpunkt weiß noch niemand, dass soeben die Meldung raus ist, dass Kardinal Woelki dem Papst seinen Rücktritt angeboten hat.
Feier der Nachdenklichkeit
Wie immer sind es der geistliche Zuspruch und der Aufruf zur Umkehr, Buße und Erneuerung während der 40-tägigen Fastenzeit, die als zentrale Botschaft von diesem Gottesdienst, der diesmal besonders schlicht und inhaltlich dennoch eindringlich gehalten ist, ausgeht. Erstmalig singt kein großer Chor. Stattdessen übernimmt Domkantor Oliver Sperling dessen Part als Solist. Auch der Krieg in der Ukraine, der omnipräsent ist, sorgt für eine merklich gedämpfte Stimmung. Gleich zu Beginn formuliert Prälat Sauerborn, was allen Besucherinnen und Besuchern aus der Seele spricht. "Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und zu Staub zurückkehrst" als einer der tragenden Sätze des Aschermittwochs habe "in dieser Lage, in der wir uns befinden, ungeheure Brisanz", betont der Künstlerseelsorger. "Die Vorgänge in der Ukraine, die kriegerische Aggression von Putin machen uns sprach- und hilflos. Uns bleibt, zutiefst solidarisch zu sein mit den Frauen, Männern und Kindern in dieser furchtbaren Lage."
Auch unser Erzbistum sei geschüttelt und gerüttelt. "Der Erzbischof hat entschieden, nicht an diesem Aschermittwoch teilzunehmen, um diesen Tag, der für die Künstlerschaft ein wichtiger ist, aus dem Druck zu nehmen", entschuldigt Sauerborn noch einmal offiziell das Fehlen des Kardinals. Dann erinnert er daran, dass der Aschermittwoch der Künstler aus der Friedenssehnsucht nach dem Ersten Weltkrieg erwachsen sei und in Deutschland aus der Versöhnungssuche nach dem Zweiten Weltkrieg. So sei dieser Tag, wie er mit Nachdruck unterstreicht, ein wirklicher Aschermittwoch-Tag, der als eine Feier der Nachdenklichkeit begangen werde.
"Die Kunst ist mehr als systemrelevant"
In seiner Predigt kommt er dann auf den Kern dieser alljährlichen Bistumsveranstaltung zu sprechen. Vor den mehreren hundert Vertretern aus den unterschiedlichsten künstlerischen Disziplinen, die an diesem Vormittag den Weg in den Dom gefunden haben, fragt er angesichts der nun schon zwei Jahre anhaltenden Pandemie und den anfangs geschlossenen Theatern, Musiksälen und Museen nach der Systemrelevanz von Kunst. Ja, sie sei relevant, befindet Sauerborn, und zwar in einem ganz ursprünglichen Sinn: "Kunst hat es mit der Orientierung des Menschen im Leben zu tun." Denn in der Kunst gehe es darum, wer der Mensch sei, was ihn ausmache. Doch die Antworten auf diese Fragen seien nicht fertig, sie hätten Wegcharakter.
"Man kann sie nicht lernen, die Antworten, die die Kunst auf das Menschsein gibt, man kann sich in ihnen bewegen, mit ihnen unterwegs sein. Die Kunst kann nicht liefern, wie Wissenschaften liefern können." Ihr gehe es da wie der Philosophie. "Die Kunst ist mehr als systemrelevant", erklärt er schließlich leidenschaftlich, "sie geht nicht im System auf. In ihrer ganzen breiten und unterschiedlichen Ausdrucksweise gehört sie zum Grundvollzug des Menschen in der Geschichte und in der Gegenwart."
Kunst und Religion leben von der Inspiration
Und sie habe, ausgesprochen oder unausgesprochen, eine große Nähe zum religiösen Vollzug des Menschen. "Auch die Religiosität kann nicht wirklich verhandelt werden unter dem Begriff der Systemrelevanz. In beiden, aus meiner Sicht untrennbaren Bereichen des menschlichen Lebens, in der Religion und in der Kunst, geht es um das Menschsein des Menschen", so Sauerborn weiter in seinen Ausführungen. "Kunst wie Religion verweigern die Funktionalisierung des Menschen. Mit dem Menschen ist mehr los, als man definieren und bestimmen kann. Er geht erst recht nicht auf in die Nützlichkeiten und Verwertbarkeiten eines gesellschaftlichen Systems. Aus diesem Grunde sind wohl die Freiheit der Religionsausübung und die Freiheit der Kunst von vergleichbarer Gründlichkeit." Und beides, Kunst und Religion, lebe von der Inspiration, die eher auf leisen Sohlen daherkomme. Doch sowohl Kreativität als auch Inspiration ließen sich nicht erlernen. Künstler indes hätten das Ohr an der Quelle der Inspiration, auch wenn diese dann mitunter nur flüsternd vernehmlich sei.
Eindrucksvolle Zeugnisse großer Lyriker über den Inspirationscharakter der Kunst, wie zum Beispiel von Gottfried Benn, Hilde Domin oder Rose Ausländer, die Sauerborn in seiner Predigt als Beispiel anführt, sprengten auf ihre unvergleichliche Weise alles vorschnelle Gerede von der Systemrelevanz und der Funktionalität. "Mit der Kunst bewegen wir uns auf dem Urgrund des menschlichen Lebens. Mit der Religion ist die Kunst dem Menschen so nah, wie nur der Atem ihm nah ist und das Klopfen des Herzens", formuliert der Seelsorger abschließend. "Wenn die Künstlerinnen und Künstler nicht dem Flüstern der Quelle der Inspiration lauschen, wer kann sie dann noch hören. Ohne die Quelle versiegt der Fluss. Ohne die Kunst vertrocknet die Welt."
Beatrice Tomasetti (DR)