Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, glaubt nicht mehr an eine Normalität für die jüdische Bevölkerung in Deutschland. "Diesen Traum nach Normalität, den ich hatte, der wird sicherlich ein Traum bleiben", sagte die 89-Jährige dem Evangelischen Pressedienst (epd). Viele Menschen würden immer noch reflexhaft die jüdische Bevölkerung "für alles verantwortlich machen, was die Gesellschaft in Schock und Angst versetzt".
Judenhass habe zugenommen
Der Judenhass habe in den vergangenen Jahren immer mehr zugenommen, sagte Knobloch, die auch Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern ist. So würden Juden von vielen Menschen für die Corona-Pandemie verantwortlich gemacht. Ihre Sorge sei, dass Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker noch mehr Zulauf bekommen und der Antisemitismus weiter wächst.
Keine Normalität in naher Zukunft
Sie könne sich daher nicht vorstellen, dass für jüdische Menschen in Deutschland in der nahen Zukunft Normalität einkehre. "Ich habe es mir gewünscht, dass wir das hinkriegen, dass dem anderen nicht seine Religion vorgeworfen wird", sagte Knobloch. Viele ältere Menschen in den jüdischen Gemeinden hätten resigniert, viele jüngere aber dächten über Auswanderung nach. Dennoch gibt sich Knobloch optimistisch: "Das Judentum ist schon immer bekämpft worden, und es hat immer wieder eine Zukunft gefunden."
Charlotte Knobloch ist eine der führenden Vertreterinnen des Judentums in Deutschland. Als Kind musste sie sich vor den Nationalsozialisten verstecken, ihre Großmutter starb im Konzentrationslager, ihr Vater überlebte. Seit 1985 ist sie Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, von 2006 bis 2010 war sie Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland.