Missbrauchsvorwürfe gegen hannoverschen Pastor Vollmer

Das Wirken des Missionars wirft Fragen auf

Zu Vorwürfen gegen den 2011 gestorbenen Pastor Klaus Vollmer ist ein Untersuchungsbericht erschienen. Doch ein Hinweis auf sexuellen Missbrauch ist gar nicht Teil des Berichts. Nun soll eine weitere Aufarbeitung folgen.

Autor/in:
Benjamin Lassiwe
Symbolbild Missbrauch / © somkhana (shutterstock)

In der hannoverschen Landeskirche stand er wie kein anderer für das Thema Mission und Evangelisation. Der 2011 gestorbene Pastor Klaus Vollmer war bekannt für seine charismatische Frömmigkeit, für leidenschaftliche Predigten und für seine besonderen Fähigkeiten, junge Menschen an die Kirche heranzuführen. Er arbeitete in der Hermannsburger Mission und im Amt für missionarische Dienste der mitgliederstärksten Gliedkirche der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und gründete die Bruderschaft der "Kleinen Brüder vom Kreuz", aus der 2011 die "Evangelische Geschwisterschaft" entstand.

Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs

Die Kommissionsmitglieder setzen sich seit vielen Jahren für die Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs ein. Sie sind Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten wie den Rechts-, Erziehungs- und Sozialwissenschaften, der Psychologie, der Medizin und der Politik. Alle Mitglieder arbeiten ehrenamtlich.

Ein Mädchen sitzt traurig auf dem Boden; Symbolfoto Kinderarmut Missbrauch / © Olesia Bilkei (shutterstock)
Ein Mädchen sitzt traurig auf dem Boden; Symbolfoto Kinderarmut Missbrauch / © Olesia Bilkei ( shutterstock )

Nun stehen Vorwürfe im Raum: Der Pastor, der verheiratet war, drei Kinder und fünf Enkel hatte, soll seine Stellung für sexuelle Kontakte zu Mitgliedern der Bruderschaft ausgenutzt und an einer minderjährigen Person mehrfach sexualisierte Gewalt ausgeübt haben. Letztere meldete sich im Rahmen eines Aufarbeitungsprozesses der "Evangelischen Geschwisterschaft".

"Es waren junge Männer"

Diese hat jetzt zum Abschluss dieses Prozesses einen Untersuchungsbericht auf ihrer Internetseite öffentlich gemacht. "Es waren junge Männer, die sich auf sexuelle Kontakte mit ihm eingelassen hatten", heißt es dort. "Und es geschah, obwohl solch ein Verhalten zur damaligen Zeit sowohl mit weltlicher Strafe bedroht als auch im religiösen Kontext der Bruderschaft als moralisch verwerflich angesehen war." Einige der Betroffenen hätten die sexuellen Kontakte heute noch "als positive Erfahrung benannt, andere deuten es eindeutig als Missbrauch". Zugleich würdigten zahlreiche aktive und ehemalige Mitglieder der "Geschwisterschaft" auch weiterhin die von Vollmer vermittelte Spiritualität und Glaubensweitergabe.

In der Bruderschaft soll es zu schweren Abhängigkeitsverhältnissen gekommen sein. "Personen, die nicht die Merkmale der Kerngruppe aufwiesen, die sich in der Bruderschaft um Klaus Vollmer herum gebildet hatte, wurden systematisch abgewertet und ausgegrenzt", heißt es in dem Bericht. "Zu diesen Merkmalen gehörte ein asexuelles mönchisches Image."

Eine Folge davon sei gewesen, dass zwar um neue Kandidaten geworben wurde, deren persönliche Lebensplanung - besonders im Blick auf Freundschaft und Liebe zu Frauen - jedoch als hinderlich galt. "Infolgedessen drohte denjenigen, die es nicht 'schafften', ehelos zu bleiben, als schwach bewertet zu werden", heißt es weiter. "Damit verbunden war eine systematische und individuelle Abwertung von Frauen." Sie soll die Aufwertung der Männer als Auserwählte und Angehörige eines "inner circle" verstärkt haben.

Bewunderung, Verehrung und spirituelle Überhöhung

Der Theologe Christian Braune kommt in dem Bericht zu dem Schluss, dass Vollmer "ein Lehrer-Schüler-Verhältnis im Sinne eines Macht- und Abhängigkeitsverhältnisses etablierte, das von Bewunderung und Verehrung getragen und spirituell überhöht wurde". Viele Mitglieder seien enttäuscht von einer geist- und seelenlosen Universitätstheologie gewesen. Bei Vollmer fanden sie "eine auf das Leben bezogene, in einem weiten Glauben gründende überzeugende Frömmigkeit", so Braune.

Als "tragisch" und "problematisch" wird die Rolle der Ehefrau Vollmers geschildert. "Sie bekommt in der Untersuchung kein Gesicht und kein Profil, als sei sie vom Rest des Geschehens abgespalten", so Braune. Sie sei Opfer und gleichzeitig Teil des Systems. Man könne ihr die Frage nicht ersparen, "in wieweit sie, möglicherweise verführt durch ihre Liebe zu ihrem Mann, sein Fehlverhalten anderen und ihr gegenüber gedeckt hat".

Kritisiert wird in dem Bericht schließlich die fehlende Aufsicht der hannoverschen Landeskirche über Vollmer, die dessen Verhalten faktisch "mit ermöglicht" habe. Für die Landeskirche hat die Causa Vollmer sogar noch weitere Folgen: Denn der Bericht der bisher einzigen bekannten Person, die von Vollmer als Minderjähriger missbraucht worden sein will, wurde vom Landeskirchenamt nicht vollständig an die Kommission weitergegeben. Deswegen wurden nun disziplinarische Vorermittlungen eingeleitet, die von einer anderen Landeskirche durchgeführt werden. Außerdem sollen externe Fachleute die Vorwürfe zu Versäumnissen und den Hinweis auf Missbrauch weiter untersuchen.

Quelle:
KNA