Schon seit Tagen hatte Papst Franziskus wiederholt zu Frieden und Besonnenheit im Ukraine-Konflikt aufgerufen. Nachdem Kreml-Chef Wladimir Putin nun Ernst gemacht hat, schwanken die Appelle internationaler Kirchenvertreter zwischen Bestürzung, Zorn und Flehen.
So brachte es der katholische Erzbischof von Vilnius, Gintaras Grusas, am Donnerstagmittag auf den Punkt: "In Gottes Namen, hört jetzt auf!", forderte der Vorsitzende des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE). "Wir müssen gemeinsam und entschlossen handeln, um der russischen Aggression ein sofortiges Ende zu setzen und alles tun, um unschuldige Frauen, Männer und Kinder zu schützen", so der litauische Bischof. Sein Land hatte am Donnerstag den Ausnahmezustand verhängt.
Bischöfe auf Konferenz in Florenz verurteilen Intervention
Die Kirchen in Europa verurteilten auf das Schärfste, "was heute Nacht in der Ukraine geschehen ist", sagte er bei einer Konferenz von Bischöfen und Bürgermeistern aus dem Mittelmeerraum in Florenz. Die internationale Gemeinschaft und insbesondere die EU dürften nichts unversucht lassen, um den Konflikt zu beenden, forderte Grusas.
In diesem Sinne äußerte sich auch der Vorsitzende der EU-Bischofskommission COMECE, Kardinal Jean-Claude Hollerich. Der Luxemburger Erzbischof sprach am Donnerstag vom "alarmierenden Szenario" eines Krieges, der den Frieden in ganz Europa und darüber hinaus bedrohe. Er rief Russland zu Verzicht auf weitere Feindseligkeiten auf und drängte die internationale Gemeinschaft, weiter auf diplomatischem Weg eine Lösung zu suchen.
An die EU-Staats- und Regierungschefs, die am Abend in Brüssel zusammenkommen wollten, appellierte Hollerich, deeskalierende und vertrauensbildende Maßnahmen zu ergreifen. Weiter rief er die europäischen Staaten zur Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge auf, die es "als Brüder und Schwestern willkommen zu heißen und zu schützen" gelte.
Vertreter orthodoxer Kirchen verurteilen Vorgehen
Auch die Vertreter der verschiedenen orthodoxen sowie der griechisch-katholischen Kirche der Ukraine verurteilten das Vorgehen Russlands. Das Oberhaupt der eigenständigen orthodoxen Kirche des Landes, Metropolit
, sprach am Donnerstag von einem "zynischen Angriff Russlands und Belarus'" und rief die internationale Gemeinschaft und die religiösen Führer der Welt zur Unterstützung auf. Die Wahrheit liege auf Seiten der Ukraine. Auch der Kiewer griechisch-katholische Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk erklärte, gemeinsam müsse man "für einen freien, geeinten und unabhängigen ukrainischen Staat" eintreten.
Selbst die russlandfreundliche ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats forderte von Kreml-Chef Putin einen sofortigen Stopp des "Bruderkrieges". "Das ukrainische und das russische Volk sind aus dem Taufbecken des Dnjepr hervorgegangen, und der Krieg zwischen diesen Völkern ist eine Wiederholung der Sünde Kains, der seinen eigenen Bruder aus Neid erschlug", erklärte das Kirchenoberhaupt Metropolit Onufri am Donnerstag in Kiew.
Kyrill I. sorgt für Irritationen
Mindestens für Irritation sorgte dagegen am Mittwoch eine Äußerung des russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I., der sich bis dato noch gar nicht zum Ukraine-Konflikt hatte vernehmen lassen. Ausführlich gratulierte er dem "lieben Wladimir Wladimirowitsch" zum "Tag der Verteidiger des Vaterlands", der alljährlich am 23. Februar begangen wird. Die Ukraine erwähnt Kyrill dabei mit keiner Silbe, doch sein überaus herzlicher Ton, mit dem er die Leistung derer ehrt, "die einen verantwortungsvollen Militärdienst leisten, über die Grenzen ihres Heimatlandes wachen und sich um die Stärkung seiner Verteidigungsfähigkeit und nationalen Sicherheit kümmern", dürfte bei vielen schlecht angekommen sein.
"Alle Priester sind geblieben"
Welche Aufgabe jetzt der Kirche vor Ort zukommt, berichtete der katholische Bischof von Odessa-Simferopol, Stanislaw Szyrokoradiuk, im Telefonat mit der Presseagentur Kathpress (Donnerstag). Auch wenn derzeit viele Menschen aus Angst vor weiteren russischen Angriffen auch auf zivile Ziele die Städte verließen: "Alle Priester sind geblieben", so der Franziskaner. Seelsorge sei wichtig angesichts der Bedrohung. "Uns bleibt nur noch das Gebet um Frieden, und wir bitten auch die Menschen auf der ganzen Welt darum."
Rund 60 Prozent der mehr als 41 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und der Ende 2018 gegründeten eigenständigen (autokephalen) "Orthodoxen Kirche der Ukraine". Der griechisch-katholischen Kirche gehört etwa jeder zehnte Ukraine an.