Roman Kuzminskyi steht in hellblau-goldenem Messgewand am Altar und schaut erschrocken auf sein Handy. "Ich möchte, dass ihr es seht", ruft der Pfarrer den Gottesdienstbesuchern in der ukrainisch-katholischen Saint Mary Protectress Church zu und zeigt das Foto seines Elternhauses in der westukrainischen Region Iwano-Frankiwsk.
Rauchschwaden umhüllen das Haus, in dessen Nähe russische Angreifer einen Flughafen in Schutt und Asche gebombt haben. "Es ist beängstigend", so Kuzminskyi. Die ukrainisch-katholische Gemeinde in Apopka in Florida ist eine unter vielen in den USA, die sich am Tag des Angriffs auf die Ukraine um ihren Pfarrer scharten, um für den sofortigen Stopp des Krieges im weit entfernten Osteuropa zu beten. So ergeht es Zehntausenden Ukrainern in den USA, die sich ihrer Ursprungsheimat noch nie so nahe fühlten wie seit Beginn der Invasion.
Rund eine Millionen Gläubige
Mehr als eine Million ukrainischstämmige Amerikaner leben laut US-Statistikbehörde in den Vereinigten Staaten. Ukrainische Katholiken sind in rund 200 US-Gemeinden aktiv, davon rund 160.000 allein in New York City, etwa 60.000 in Philadelphia. Die Erzdiözese in Pennsylvania ist die geistliche Heimstatt der seit den 1870er Jahren eingewanderten Gläubigen aus Galizien, die dem oströmischen Ritus angehören. Ihr steht Borys Gudziak vor, den Papst Franziskus im Februar 2019 zum Erzbischof von Philadelphia ernannte. Gudziak redet Klartext: Der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine sei eine "Kreuzigung vor den Augen der Welt".
Die ukrainisch-katholische Kirche habe historisch gesehen immer gelitten, wenn ein russisches Regime ukrainisches Gebiet besetzt hatte, so Gudziak gegenüber dem Portal CatholicPhilly.com. "Sei es ein zaristisches, ein kommunistisches oder ein Putin-Regime." Der 61-Jährige ist kurz vor dem Einmarsch von einem Ukraine-Besuch zurückgekehrt. Von Joe Bidens Sanktions-Paket gegenüber Russland war er zunächst enttäuscht, schöpfte dann aber Hoffnung, als die EU und die USA den Ausschluss russischer Banken aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT beschlossen.
Konflikte seit Sowjetzeiten
Geprägt hat ihn der ukrainisch-katholische Kardinal Josyf Slipyi, der wegen seiner Weigerung zu Sowjetzeiten, sich vom Papst loszusagen, für 18 Jahre in einem Gefangenenlager verschwand; ein Held und Symbol der katholischen Kirche der Ukraine gegen ihre Unterdrückung. 66 Prozent der rund 41 Millionen Ukrainer sind orthodoxe Christen, etwa zehn Prozent sind Katholiken und gehören der sogenannten griechisch-katholischen Kirche an. Diese steht seit der Union von Brest 1596 in Gemeinschaft mit dem Vatikan. Die meisten der rund 4,5 Millionen Mitglieder der Kirche leben in der Ukraine.
Gudziak weiß, was für die katholischen Ukrainer auf dem Spiel steht: Nichts weniger als die Angst vor der Illegalität ihrer Kirche in einem von Russland besetzten Land. "Die traurige Geschichte für die ukrainischen Katholiken ist, dass jedes Mal, wenn Russland einen Teil der Ukraine einnimmt, in dem die ukrainische katholische Kirche existiert, diese früher oder später, sei es in einem Monat oder in einem Jahr oder in 10 oder 20 Jahren, einfach ausgelöscht wird", so Gudziak in einem Radio-Interview vergangene Woche.
Zwei Orthodoxe Kirchen in der Ukraine
Die Gräben zwischen Russland und der Ukraine reichen bis in den religiösen Bereich. Ende 2018 wurde die eigenständige (autokephale) orthodoxe Kirche der Ukraine gegründet - zum Ärger des orthodoxen Patriarchats in Moskau. Die russisch-orthodoxen Führer weigerten sich, die Autokephalie anzuerkennen. Im Ergebnis existieren nun zwei mitunter sehr gegensätzliche orthodoxe Fraktionen im Lande.
In der Holy-Trinity-Gemeinde von Carnegie in Pennsylvania haben die meisten Mitglieder Verwandte in der Westukraine. In den vergangenen Jahren haben sie für ihre Landsleute in der östlich gelegenen Donbas-Region gespendet, jetzt ist auch der Westen, ja das ganze Land, in Not. Doch Pfarrer Jason Charron will nicht nur helfen, er gibt sich auch kämpferisch. Die ukrainischen Katholiken seien bereit, sich "jeder Invasion zu widersetzen", so Charron. Weil die Unterdrückung der ukrainischen Geschichte und Kultur stets mit "der Unterdrückung ihres Glaubens verbunden" gewesen sei. Manche wollen nicht nur für die Verteidigung der staatlichen Souveränität kämpfen, sondern auch für die Religionsfreiheit in der Heimat. So wie Slobodian aus der ukrainischen Gemeinde in Chicago: "Ich kann nicht einfach daneben stehen."