DOMRADIO.DE: Hat der Einmarsch Russlands in die Ukraine und der daraus folgende Krieg sie überrascht?
Ruprecht Polenz (Katholischer Christ und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde sowie ehemaliger CDU-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses): Ich bin sehr erschrocken, als ich am vergangenen Donnerstagmorgen diese Nachrichten bekommen habe. Da habe ich erst mal geguckt, was da nun passiert.
Auf der anderen Seite war der Truppenaufmarsch rund um die Ukraine, diese angeblichen Manöver mit der Stationierung von 160.000 Soldaten, Panzer und Artillerie an der ukrainischen Grenze, seit Wochen bekannt. Auch, dass das ganze militärische Material Putin die Fähigkeit eines solchen Überfalls geben würde.
Ich hatte trotzdem bis zuletzt die Hoffnung, dass es nicht so weit kommt. Insofern erschrocken, ja; überrascht, nein.
DOMRADIO.DE: Sie haben gute Kontakte nach Osteuropa und kennen sich dort aus. Wie machen wir als Deutschland jetzt weiter?
Polenz: Wir hatten am Sonntag eine sehr gute Debatte im Deutschen Bundestag. Man wird später vielleicht sagen eine historische. Dort haben sich im Grunde alle demokratischen Parteien auf die Linie verständigt, die der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vorgegeben hat.
Für die Regierungsparteien bedeutet diese Linie teilweise eine Kehrtwende der bisherigen Politik. Aber auch in der Union haben viele die Lage bisher nicht in dieser Ernsthaftigkeit gesehen. Bisher wäre auch in der Union niemand auf die Idee gekommen, zu sagen: Wir bilden ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, um unsere Bundeswehr so auszustatten, dass die Defizite, die in der Vergangenheit immer mal wieder besprochen wurden, schnell ausgeglichen werden können.
Nun wird der Verteidigungsetat erhöht. Das hat die CDU seit einiger Zeit gefordert, auch wegen des berühmten Zwei-Prozent-Zieles der NATO, aber diese Position vertritt jetzt auch die Ampel-Regierung. SPD und Grüne hatten dieses Ziel bis dahin infrage gestellt, wollten es eigentlich auch nicht erfüllen, weil sie es nicht für nötig hielten. Das ist der militärische Teil.
Es gibt aber auch eine ganze Menge, was Deutschland darüber hinaus tun muss, zum Beispiel in der Frage wirtschaftlicher Sanktionen. Bei Sanktionen muss man sich immer klar machen, dass beide Seiten betroffen sind. Man ist die Wirtschaftsbeziehung eingegangen, weil sie für beide Seiten vorteilhaft ist. Wenn ich die Beziehungen unterbreche, trifft mich das auch. Allerdings wollen wir mit diesem Schritt Putin ein Signal senden: "Hör auf mit dem Krieg in der Ukraine, besser gestern als heute."
Man muss sich auch anschauen, was das mit der deutschen Wirtschaft macht. Wenn wir Russland beispielsweise von SWIFT trennen, dem internationalen Zahlungssystem, können wir unsere Gasrechnung bei Russland nicht mehr bezahlen. Dann hätte Russland allen Grund, uns eben kein Gas mehr zu liefern. Es stellt sich allerdings grundsätzlich die Frage, wie sich unsere Energieabhängigkeit von Russland in der nächsten Zeit auswirken wird.
DOMRADIO.DE: Also wird es schwieriger in Zukunft?
Polenz: Ja, ich glaube, wir stehen vor schwierigen Zeiten. Aber was ist die Alternative? Ein Staat hat einen anderen überfallen. Das hatten wir so seit 1945 in dieser Form in Europa nicht mehr. Der 24. Februar 2022 war für die Ukraine der schwärzeste Tag seit 1941, als Nazi-Deutschland die Ukraine und die Sowjetunion überfallen hat. Das ist die Dimension.
Die Frage ist, können wir diesen Krieg beenden? Können wir vermeiden, dass Putin noch weitergeht? Putin redet von den baltischen Staaten, sogar von Schweden und Finnland.
Hier muss eine klare Botschaft an Putin gesendet werden: Wenn du die rote Linie, die Grenze zu NATO-Mitgliedsstaaten überschreitest, dann hast du's mit allen zu tun.
In Artikel vier des NATO-Vertrags steht nämlich: Ein Angriff auf ein NATO-Mitglied wird als Angriff auf alle NATO-Mitglieder gesehen. Alle Mitgliedsstaaten stehen dem Angegriffenen bei, auch militärisch.
DOMRADIO.DE: Diplomatisch hat sich ja auch Papst Franziskus engagiert. Am Freitag hat er den russischen Botschafter im Vatikan besucht. Wie sehen Sie denn diesen Schritt des Papstes?
Polenz: Das war sicherlich eine wichtige Initiative des Papstes. Alle diplomatischen Bemühungen rund um den Globus sollen Russland zeigen, dass sich Russland mit diesem Vorgehen selbst isoliert. Das ist gut und wichtig.
Nicht nur die Länder Europas, sondern auch die aus Afrika, Asien und Lateinamerika müssen Russland das klar machen. Je mehr Druck auf diese Weise entsteht, desto besser. Dafür steht auch die Initiative des Papstes.
Das Interview führte Florian Helbig.