"Ich gehöre der Generation an, die den Zweiten Weltkrieg erlebt und überlebt hat, und habe daher die Pflicht, allen jungen Menschen, all jenen, die jünger sind als ich und diese Erfahrung nicht gemacht haben, zu sagen: Nie wieder Krieg!" Obwohl schon schwerkrank, verurteilte Papst Johannes Paul II. im Jahr 2003 mit starker Gestik und deutlichen Worten den Einmarsch der US-Amerikaner in den Irak. Auf das Oberhaupt der Katholischen Kirche konnte sich der damalige US-Präsiden Georg W. Bush beim besten Willen nicht berufen — obwohl es immerhin auch um den Sturz des Diktators Saddam Hussein ging.
Unterschiedlicher könnte in diesen Tagen die Situation zwischen dem russischen Präsidenten und Patriarch Kyrill nicht sein - kein Wort der Kritik am russischen Regime kommt dem Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche über die Lippen, auch das Wort Krieg verwendet er nicht im Bezug auf die Ukraine. Stattdessen sekundiert der Patriarch der offiziellen staatlichen Lesart von der "Spezialoperation". Der tragische Konflikt sei Teil einer "großangelegten geopolitischen Strategie" zur Schwächung Russlands, schrieb der Moskauer Patriarch in einem Brief, wie der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) in Genf bestätigte. Westliche Kräfte hätten nach dem Ende des Kalten Krieges vor mehr als 30 Jahren Russland zu ihrem "Feind" erkoren und seien immer näher an die Grenzen seines Heimatlandes gerückt. Der Westen habe im Osten Europas eine Militärpräsenz aufgebaut und die berechtigten Sicherheitssorgen Russlands ignoriert.
Franziskus wird endlich deutlich
Wurde Franziskus am Anfang des Krieges gegen die Ukraine noch für seine Zurückhaltung kritisiert, wurde der Nach-Nachfolger von Johannes Paul II. inzwischen deutlich in seiner Kritik: "In Gottes Namen bitte ich euch: Beendet dieses Massaker!", sagte er beim Mittagsgebet am vergangenen Sonntag auf dem Petersplatz. Dabei verurteilte er "Barbarei" und "inakzeptable bewaffnete Aggression", die "ganze Städte in Friedhöfe" zu verwandeln drohe.
Dennoch gab es ein Videogespräch zwischen Kyrill und Franziskus, das aber anschließlich durchaus unterschiedlich interpretiert wurde. Auch das Gespräch mit dem Erzbischof von Canterbury ordnete der Patriarch diskussionswürdig ein. So betonte er am Freitag in Moskau, "wie wichtig es ist, dass sich bei meinen persönlichen Video-Kontakten mit dem Papst und dem Erzbischof von Canterbury ein hohes Maß an Einigkeit und Verständnis gezeigt hat". Als vielleicht wichtigsten Eindruck habe er gewonnen, "dass unsere Gesprächspartner sich nicht von uns distanziert haben oder zu unseren Feinden geworden sind".
Welche Gemeinsamkeiten?
Diese Interpretation wirft aber Fragen auf — dass der römisch-katholische Papst den russisch-orthodoxen Patriarch nicht als Feind bezeichnet, darf wohl kaum als Zustimmung zu dessen Kreml-Nähe verstanden werden. Welche Gemeinsamkeiten er konkret meinte, sagte Kyrill nicht. Auch Erzbischof Justin Welby als anglikanischer Primas ist Kyrill vielleicht doch nicht so nahe, wie dieser behauptet. Der Erzbischof von Canterbury habe in dem Videotelefonat seine Besorgnis über den Krieg ausgedrückt, der eine große Tragödie sei, hieß es anschließend in einer Verlautbarung des Lambeth Palace — nach einem hohen "Maß an Einigkeit" klingt das nicht.
Stattdessen hagelt es Kritik aus aller Welt an Kyrills Nähe zum Kreml. "Als orthodoxe Theologinnen und Theologen nehmen wir mit Entsetzen wahr, wie unser Glaube und das Wort Christi missbraucht und zu Propagandazwecken instrumentalisiert werden können", so äußerte sich unter der Woche der Arbeitskreis orthodoxer Theologinnen und Theologen im deutschsprachigen Raum. "Wir machen uns die unmissverständliche Verurteilung des Krieges seitens vieler orthodoxer kirchlicher Vorsteher, Bischöfe, Priester und Laien weltweit zu eigen."
Internationale Kritik an russisch-orthodoxer Kirche
Auch aus den USA gab es deutliche Worte. So appellierten mehr als 100 christliche Führungspersönlichkeiten an das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill I., seinen Einfluss geltend zu machen, um die Invasion zu stoppen. Es gebe keine "ethische, religiöse oder theologische Rechtfertigung für den Einmarsch der Russen", erklärte der Leiter des Glaubenszentrums der Georgetown University, Jim Wallis.
Bislang zeigt sich Kyrill von solchen Worten unbeeindruckt. Doch sollte Präsident Putin den Krieg gegen die Ukraine verlieren und politisch untergehen, stünde der Patriarch ohne seinen prominenten und einflussreichen Unterstützer da. Welche Folgen das für das Oberhaupt von rund 150 Millionen Gläubigen haben könnte, darüber kann im Moment nur spekuliert werden.