DOMRADIO.DE: In der Evangelischen Kirche wurde jetzt ein neuer Beauftragter für Flüchtlingsfragen berufen. Vermutlich ist es kein Zufall, dass dieses Amt genau jetzt wieder besetzt worden ist, oder?
Christian Stäblein (Evangelischer Bischof Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und Beauftragter für Flüchtlingsfragen der Evangelischen Kirche in Deutschland): Nein, das ist kein Zufall. Vielmehr hat die Evangelische Kirche in Deutschland gesagt, man müsse angesichts der momentanen Situation diese Aufgabe, die es schon länger gibt, neu besetzen. Es braucht in der Tat ein Gesicht für die Arbeit mit und für Geflüchtete in der evangelischen Kirche.
DOMRADIO.DE: Sind Sie denn jetzt eigentlich von anderen Aufgaben freigestellt? Also haben Sie Zeit eingeräumt bekommen für Ihre neue Aufgabe?
Stäblein: Nein, das ist ein Ehrenamt. Es passt auch zu unserer Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Denn, und das steht ja im Vordergrund, die Welle der Hilfsbereitschaft, die Bereitschaft der Gemeinden und Einrichtungen ist bei uns wie überall sehr groß.
Es gibt ganz viele Kirchengemeinden in Berlin, in Brandenburg, aber auch in der schlesischen Oberlausitz, die Geflüchtete aus der Ukraine aufnehmen. Meine Arbeit ist es ohnehin, bei diesen Gemeinden zu sein. Jetzt bündele ich das auch für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Das kommt einfach jetzt dazu, weil die Arbeit gemacht werden muss.
DOMRADIO.DE: Ist es Sinn dieses Amtes als "Flüchtlingsbischof" zu wissen, wo welche Fäden zusammenlaufen und Hilfen koordinieren?
Stäblein: Ganz genau. Ich denke, es ist wichtig, dieser Herausforderung Stimme und Gesicht zu geben. Gerade dann, wenn das Thema wieder in den Hintergrund tritt, ist es wichtig, deutlich dafür zu sorgen, dass wir laut und vernehmbar für die Geflüchteten, für Menschen auf der Suche nach Asyl reden, laut und vernehmbar sagen, dass es nicht Geflüchtete erster, zweiter und dritter Klasse geben darf und dass die Menschen aus dem Krieg in Syrien, der nun schon eine Dekade anhält, auch bei uns Aufnahme finden.
Dass die Kinder in den Flüchtlingslagern auf Lesbos nicht vergessen werden, gehört auch mit dazu. Dieses immer wieder zu bündeln, immer wieder für alle Gliedkirchen der EKD zu sprechen, aber vor allem das Thema im Bewusstsein der Gesellschaft zu halten, gehört ebenfalls dazu.
DOMRADIO.DE: Wenn wir auf die Lage der Geflüchteten aus der Ukraine gucken, heißt es immer wieder von Kirchenvertretern, man wolle für die Menschen da sein. Wie sind aktuell die Kirchen für Geflüchtete hier in Deutschland da? Was heißt das genau?
Stäblein: Am Anfang sind wir sehr deutlich da gewesen und haben gesagt: Bei uns gibt es ein Dach über dem Kopf. Ich habe viele Gemeinden besucht, die ihre Kirchensäle, ihre Gemeindesäle, aber auch ihre Kirchen zu Flüchtlingsunterkünften umgebaut haben, sprich Feldbetten hineingestellt haben, sodass zunächst einmal einfach ein Dach über dem Kopf da war.
Jetzt, da auch der Staat in guter Weise die Hilfe organisiert, können wir uns auf das konzentrieren, was wir in den Kirchengemeinden gut können. Das heißt, für kleinere Unterkünfte, also für kleinere Zahl auch Raum bieten, insbesondere für sogenannte vulnerable Gruppen, also Geflüchtete, die mit Beeinträchtigungen kommen.
Wir können Seelsorge, Gespräche und Austausch anbieten. Wir richten im Moment in vielen Gemeinden sogenannte Ukraine-Cafés ein, also Orte, an denen wirklich Austausch stattfinden kann. Ich denke, wir brauchen einen langen Atem und müssen gut gucken, was an welcher Stelle angeboten werden kann. Kirchengemeinden haben mit ihrer Struktur einfach noch mal andere Möglichkeiten in der Überschaubarkeit, als es der Staat hat.
DOMRADIO.DE: In der katholischen Kirche gibt es schon seit Jahren einen Flüchtlingsbischof. Das ist der Hamburger Erzbischof Stefan Heße. Streben Sie da auch eine ökumenische Zusammenarbeit in Flüchtlingsfragen mit Erzbischof Heße an?
Stäblein: Es sind ja Fragen, die, ich sage mal, genuin ökumenisch sind. Die Nothilfe und das Zugehen auf die Menschen, die ja aus ganz unterschiedlichen Kontexten, Glaubensrichtungen, auch Religionen kommen, ist eine ur-ökumenische Aufgabe.
Das ist ja etwas, was wir im Moment ohnehin ganz besonders brauchen: Ein ökumenisches Netzwerk in Europa, das über die Grenzen der Länder und Nationen hinweg dafür sorgt, dass es humanitäre Hilfe und ein Ansehen der Menschen in der Würde, die ihnen zukommt, nämlich Gottes Würde, immer wieder ermöglicht.
DOMRADIO.DE: Beinhaltet Ihr Amt als Beauftragter für Flüchtlingsfragen eigentlich auch politische Arbeit? Richten Sie Appelle gen Russland?
Stäblein: Ich denke, das gehört immer mit dazu, soweit aus dem Evangelium heraus Botschaft und Hilfe erwächst. Botschaft und Hilfe in dieser Welt ist immer auch politisch. Zu diesem Amt gehört natürlich auch das Einmischen in Fragen der Asylmöglichkeiten und des Asylrechts dazu.
Zu diesem Amt gehört aber natürlich auch dazu, an dieser Stelle immer wieder deutlich zu sagen: Stoppt Putin! Stoppt den Krieg! Wir wollen, müssen und sollen bitten, dass das Morden so schnell es geht, ein Ende hat.
Es sind ganz viele geschockt von den Bildern, die wir gestern gesehen haben. Es muss ein Ende der Kriegsverbrechen und dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit geben, und die, die das zu verantworten haben, gehören vor Gericht.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.