Caritas Köln fordert bessere Strukturen in Flüchtlingshilfe

"Stadtverwaltung nicht gut aufgestellt"

Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, brauchen langfristig nicht nur Wohnraum, sondern auch Jobs, Kitaplätze und mehr. Die Caritas Köln versucht zu helfen, sieht aber insgesamt strukturellen Verbesserungsbedarf.

Helfer und Geflüchtete am Kölner Hauptbahnhof / © Adelaide Di Nunzio (KNA)
Helfer und Geflüchtete am Kölner Hauptbahnhof / © Adelaide Di Nunzio ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die Caritas leistet soziale Betreuung für ukrainische Flüchtlinge in Notunterkünften, unter anderem in den Messehallen. In der Presse war zu lesen, dass die Bedingungen dort schwierig seien. Es ist immer taghell beleuchtet, auch nachts. Und es soll sehr kalt sein und auch Decken fehlen. Wie erleben Sie das denn?

Notunterkünfte für ukrainische Geflüchtete in den Kölner Messehallen / © Federico Gambarini (dpa)
Notunterkünfte für ukrainische Geflüchtete in den Kölner Messehallen / © Federico Gambarini ( dpa )

Tim Westerholt (Beratungsdienst/Fachdienst Integration und Migration der Caritas Köln): Man muss dazu sagen, dass es auch eine Mammutaufgabe gewesen ist, über wenige Tage eine ganz gewaltige Struktur aufzubauen. Da gab es ganz viele Stellen, an denen letzte Woche Dinge drunter und drüber gelaufen sind, improvisiert werden musste. Wir können aber glücklicherweise sagen, dass wir gerade übers Wochenende und jetzt in die Woche mit einem sehr viel geordneterem System starten konnten.

DOMRADIO.DE: Auf welche Menschen treffen Sie dort?

Westerholt: Die Menschen, die dort ankommen, würde ich grob so einteilen: Zum einen sind es Menschen, die in Köln nur auf der Durchreise sind, alte Bekannte oder Kontakte oder Vorstellungen dazu haben, wo es in Deutschland für sie weitergeht. Es gibt Menschen, die tatsächlich nur kurz bleiben.

Es gibt andere, die jetzt angekommen sind und erst mal wissen wollen, wie es weitergeht. Also Menschen, die wissen müssen: Wo schlafen sie? Was haben sie in Deutschland für eine Perspektive?

Aber die Menschen müssen auch erst mal verdauen, was sie erlebt haben, nämlich eine abenteuerliche Fluchtgeschichte, häufig eine Trennung von Familienangehörigen und Verwandten, die in der Ukraine verblieben sind.

Wir haben zum Beispiel in der letzten Woche Kontakt zu einer Frau gehabt, die dadurch traumatisiert ist, dass ihr 19-jähriger Sohn versteckt in einem Keller in der Ukraine ist, der nicht ausreisen darf, der aber auch nicht kämpfen will. Und sie will auch nicht, dass er kämpft. Das sind starke Belastungen, die die Menschen mitbringen und die dann bei uns ankommen.

Caritas Deutschland

Der Deutsche Caritasverband (DCV) ist der größte Wohlfahrtsverband Europas. Die Dachorganisation katholischer Sozialeinrichtungen setzt sich für Menschen in Not ein. Mit rund 690.000 hauptamtlichen Mitarbeitern - 80 Prozent sind Frauen - ist die Caritas zudem der größte private Arbeitgeber in Deutschland. Der Begriff "caritas" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Nächstenliebe. Sitz des 1897 gegründeten Verbands ist Freiburg. Wichtige Bedeutung haben die Büros in Berlin und Brüssel.

Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus (KNA)
Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus ( KNA )

DOMRADIO.DE: Neben den Ukrainern, die hier angekommen sind, gibt es aber zum Beispiel auch den Studenten mit ghanaischen Wurzeln oder einen Afghanen, der die Ukraine verlassen musste. Welche unterschiedlichen Herausforderungen gibt es da jetzt zu meistern?

Westerholt: Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, denn viele von den Regelungen, die auch gesetzlich in allerkürzester Zeit aufgestellt werden mussten, zeigen eine gewisse Klarheit für die Menschen, die einen ukrainischen Pass haben. Bei anderen wird es länger dauern und da gibt es große Unsicherheiten.

Ein anderes Beispiel ist ein tunesischer Vater, der schon vor dem Krieg hier bei Verwandten in Urlaub gewesen ist, eigentlich in der Ukraine lebt, deswegen nicht zurückreisen kann, weil der Krieg ausgebrochen ist. Der hat es irgendwie geschafft, seine in der Ukraine verbliebenen Kinder, die bei der Schwester untergebracht waren, nach Deutschland zu bringen.

Der wendet sich mit großer Verunsicherung an uns, wie es weitergeht, ob er ein Recht auf Schulplätze, auf einen Aufenthaltstitel hat oder ob er schlussendlich in sein ganz ursprüngliches Herkunftsland irgendwie zurückgeschickt wird. Das sind viele Stellen, wo auch zurecht Ängste bestehen. Da müssen wir in der Beratung genau hingucken und unterstützen.

DOMRADIO.DE: Auf der anderen Seite gibt es auch Menschen, die helfen wollen, Sachspenden oder Wohnraum anbieten. Wie bringen Sie die Menschen, die Wohnraum haben, mit den Wohnraum-Suchenden zusammen?

Westerholt: Das ist eine große Herausforderung, insbesondere auch für die Stadt. Wir als Caritas stehen in den Beratungsdiensten im Kontext der einzelnen Begleitung mit den Ratsuchenden dafür Pate, dass wir auch da, wo es passt, Menschen und Wohnungen zusammenbringen. Strukturell können wir das nicht gewährleisten. Wir sind keine Behörde für das Thema, aber da gibt es mittlerweile auch eine ganze Menge Engagement, das heißt professionelle Plattformen, auf denen Wohnungen angeboten werden können.

Auch die Stadt unterstützt bei dem Anliegen. Wir machen das im Einzelfall, weil wir auch nur so richtig gut gewährleisten können, dass sowohl die Seite des ratsuchenden Menschen, aber auch und vor allem die Seite der Wohnung und des Menschen, der hinter dieser Wohnung steht, zusammenpassen und dass das alles gut läuft.

Tim Westerholt

"Das ist eine große Herausforderung, insbesondere auch für die Stadt."

DOMRADIO.DE: Abgesehen vom Wohnraum, wie können Sie sonst den Menschen helfen? Was ist mit Kita, Schule, Job und all diesen Geschichten?

Westerholt: Da können wir ganz, ganz viel leisten, denn das ist unser Tagesgeschäft. Wir kennen die Zugänge, wir kennen auch die rechtlichen Regelungen. Wir sind aber in einer sehr besonderen Situation, weil in sehr kurzer Zeit sehr viele Menschen gekommen sind. Was wir brauchen, ist, dass sich hier in Köln insbesondere die Zugänge in diese Systeme sehr, sehr schnell sortieren.

Das fängt damit an, dass Bezirksämter endlich wieder offene Sprechstunden anbieten müssen, um die schiere Zahl von notwendigen Wohnsitzanmeldungen bewältigen zu können. Die Verweise in die Schulplätze funktionieren dadurch, dass entsprechend auch Lehrpersonal zur Verfügung steht und entsprechende Einkommensklassen aufgebaut werden. Da erleben wir eine Stadtverwaltung, die da nicht gut aufgestellt ist und das muss sich sehr, sehr schnell organisieren.

DOMRADIO.DE: Kann man schon ungefähr sagen, wie lange es dauert, bis zum Beispiel jemand einen Kitaplatz für sein Kind bekommt?

Westerholt: Das kann ich tatsächlich noch nicht sagen. Ich kann es nur vermuten. Das Thema Kita-Versorgung genauso wie das Thema Wohnungssuche ist ja eines, das in Köln schon seit vielen, vielen Jahren prekär ist und jetzt eben dadurch zusätzlich belastet wird.

Das Gute an der Situation ist, dass nicht nur Menschen kommen, die Hilfsangebote brauchen, sondern die auch Hilfsangebote bieten können. Es kommen Lehrkräfte. Es kommen Menschen, die arbeiten wollen. Zukünftige Erzieherinnen, Erzieher, Lehrerinnen, Lehrer. Und das gehört genauso dazu zu dem ganzen Paket, das eben jetzt auch schnell Zugänge geschafft werden, um die Menschen hier einzubinden und selbst zu helfen.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR
Mehr zum Thema