Caritas betrauert tödlichen Angriff auf Zentrum in Mariupol

"Wir haben leider damit rechnen müssen"

Die ukrainische Hafenstadt Mariupol wird seit Wochen durch russische Truppen belagert. Auch das Caritas-Zentrum dort wurde zerstört - sieben Menschen starben. Länderreferent Gernot Krauß fordert besseren Zugang für Hilfsorganisationen.

Zerstörte Gebäude in der Stadt Mariupol  / © Maximilian Clarke (dpa)
Zerstörte Gebäude in der Stadt Mariupol / © Maximilian Clarke ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sieben Menschen, die Schutz gesucht haben im Caritas-Zentrum von Mariupol, sind am 15. März getötet worden, darunter auch zwei Mitarbeitende. Durch einen erneuten Panzerbeschuss wurde das Zentrum dann am Montag endgültig zerstört. Wie haben Sie davon erfahren? Was ging Ihnen da durch den Kopf? Das muss ja eine furchtbare Nachricht sein für alle. 

Gernot Krauß (Länderreferent für die Ukraine bei Caritas International): Ja, das ist in der Tat eine ganz furchtbare Nachricht. Wir haben leider damit schon rechnen müssen, dass auch wir nicht verschont werden von diesen Gräueltaten und von diesen schlimmen Nachrichten, die man sonst so sieht. Weil wir einfach mit unseren Partnern der Caritas Ukraine, mit lokalen Mitarbeitenden, dort tätig sind, in vielen Gebieten, wo es wirklich die Kampfhandlungen gibt.

Da hat uns jetzt am Wochenende diese Nachricht erreicht, dass am 15. März bereits dieser Beschuss dort stattgefunden hat. Das ging über unsere lokalen Kollegen, die uns regelmäßig informieren, wie die Situation vor Ort ist. Und auch sie haben eben etliche Tage gebraucht, bis sie diese Nachricht erreicht hat, weil die Kommunikationswege sehr, sehr schwierig sind. 

DOMRADIO.DE: Sie selbst sind ja auch mal in Mariupol gewesen, haben dieses Zentrum besucht. Wie haben Sie diesen Ort, der jetzt zerstört worden ist, in Erinnerung? 

Gernot Krauß

"Alles, was den Krieg befeuert, ist kein guter Weg."

Krauß: Das ist eine sehr quirlige industrielle Hafenstadt gewesen, wo sehr viel Industrie ist und auch sehr viele LKW unterwegs waren, sehr viele Menschen. Es war keine reiche Stadt, eher eine Stadt, wo man auch sehr viele Bedürftige und sehr viel Armut gesehen hat. Und das war eben einer der Gründe, warum wir dort ein großes Caritas-Zentrum, ein Sozialzentrum, aufgebaut haben, wo soziale Dienste geleistet werden. Und dieses Zentrum, das existiert nun nicht mehr. 

Caritas international

Caritas International arbeitet eng mit den weltweit 165 nationalen Caritas-Organisationen zusammen. Von seinem Hauptsitz in Freiburg aus unterstützt das katholische Hilfswerk jährlich etwa 1.000 Hilfsprojekte in aller Welt. In den Projekten gewährleisten die Kompetenz und das Engagement der einheimischen Caritas-Mitarbeiter den dauerhaften Erfolg vor Ort.

Die Caritas gibt es in über 160 Ländern / © Karolis Kavolelis (shutterstock)
Die Caritas gibt es in über 160 Ländern / © Karolis Kavolelis ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Neben Mariupol ist die Caritas ja auch in anderen umkämpften Städten im Einsatz, zum Beispiel im Kramatorsk oder auch in Kiew. Was ist da momentan überhaupt möglich an humanitärer Hilfe? Sie haben ja eben schon gesagt, der Kontakt ist auch schwer aufrecht zu halten. 

Krauß: Das ist sehr unterschiedlich in den verschiedenen Städten. Kiew war sehr, sehr schwierig, ist jetzt deutlich besser geworden und man kann da wieder mehr tun. Wir haben fünf Sozialzentren in der Ostukraine gehabt. Darunter war eben eins in Mariupol. Kramatorsk ist die Stadt, die jetzt im Augenblick unter massivem Druck steht, weil sie eben strategisch auch wichtig ist. Auch dort haben wir ein Sozialzentrum.

Und was ganz besonders wichtig ist - das hat eben auch zu diesem schrecklichen Tod dieser uns vertrauten Kollegen geführt - ist, dass die Sozialarbeiter und Helfer, die für uns arbeiten, gesehen haben: Sie können sich in Sicherheit bringen. Teilweise wurden sie evakuiert. Mariupol und Kramatorsk wurden als Zentren beide evakuiert. Aber unsere Kollegen haben gesagt, sie können es nicht ertragen, in Sicherheit zu sein und zu wissen, dass zum Beispiel die Alten, die Hilfe brauchen, nicht fliehen können. Und deshalb ist es so wichtig, dass man dort weiter hilft. Und das hat eben jetzt zu dieser Situation geführt. 

DOMRADIO.DE: Wir schauen einmal kurz in die Politik mit Ihnen. Gestern ist bekannt geworden, dass wahrscheinlich auch chemische Waffen seitens der russischen Angreifer eingesetzt wurden. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock hat sich für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen, auch für die Lieferung von schweren Waffen. Ist das eine Forderung, die Sie in der aktuellen Situation begrüßen? 

Krauß: Also, ich denke mal, alles was den Krieg befeuert, ist kein guter Weg. Wir sehen, was diese Waffen anrichten können. Es ist auch nicht unser Bereich, in dem wir tätig sind. Aber wir fordern wirklich eher, dass es Zugang zu den Menschen gibt, die von diesen Waffen belagert sind, von allen Seiten, dass es eine Möglichkeit gibt, dort helfen zu können und die Hilfen auszubauen. Denn das ist wirklich bitter, bitter, notwendig und wir kommen in etliche Bereiche gar nicht rein. Das ist wirklich eines der großen Dramen. 

Gernot Krauß

"Unsere Kollegen haben gesagt, sie können es nicht ertragen, in Sicherheit zu sein und zu wissen, dass zum Beispiel die Alten, die Hilfe brauchen, nicht fliehen können."

DOMRADIO.DE: Man fühlt sich ja oft ein bisschen hilflos, wenn man hier sitzt und gerne etwas tun möchte, aber nicht genau weiß, wie. Sie werden oft gefragt, ob man nicht einfach in die Ukraine oder in die Randgebiete reisen kann, um zu helfen. Was sagen Sie den Menschen dann? 

Krauß: Im Augenblick ist es in der Tat so, dass es ein unkalkulierbares Risiko ist, in dieses Land zu fahren. Das Land ist riesengroß und es kann gut gehen. Es wird in vielen Fällen gut gehen. Aber man sieht an dem Beispiel, dass man jederzeit überall von Luftschlägen betroffen sein kann, von Schießereien betroffen sein kann. Und wir raten deshalb wirklich ab, dort hineinzufahren. Es gibt Möglichkeiten, über die Hilfsorganisationen zu spenden. Wir leisten ja einmal die sozialen Hilfen, dass wir zu den Alten hingehen. Aber eine der ganz wichtigen Komponenten ist auch, dass wir Cash-Transfer machen. Die Menschen bekommen dann Geldkarten - wie auch die Geflüchteten hier in Deutschland und in Polen beispielsweise - weil sie sich damit selber kaufen können, was sie brauchen. Das geht in der Tat auch noch. In diesem Bereich kann man unterstützen. Und, vergessen wir nicht: Es werden sehr viele hierher kommen, so dass wir uns auch hier sehr gut engagieren können und den Menschen, die hierher kommen, helfen können.

Das Interview führte Michelle Olion. 

Quelle:
DR