Die beiden großen Kirchen in Deutschland sehen sich seit Jahren mit einem zunehmendem Exodus ihrer Mitglieder konfrontiert. Doch die "Sache Jesu" zieht immer noch "Begeisterte" an, zumindest wenn dessen Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen von Christian Stückl inszeniert wird.
Trotz Krise der Kirche
Zur Premiere der 42. Oberammergauer Passionsspiele gab sich am Samstag eine bunte Gästeschar aus verschiedenen Religionsgemeinschaften, Politik, Gesellschaft, Kunst, Film und Schauspiel die Ehre - und war bereit, sich über viele Stunden mit der Botschaft Christi konfrontieren zu lassen.
Schon beim ökumenischen Eröffnungsgottesdienst im Passionstheater gaben Chor und Musiker des Passions-Ensembles einen vielversprechenden Vorgeschmack auf die nachfolgende Aufführung. Es war ein gelungener Auftakt, auch wenn Stückl, der selbst nach wie vor der katholischen Kirche angehört, damit gehadert hatte, wie er dem "Spiegel" zuvor verriet. Grund dafür ist vor allem das im Januar veröffentlichte Missbrauchsgutachten der Erzdiözese München und Freising, in deren Gebiet Oberammergau liegt.
Dennoch gelang dem Münchner katholischen Kardinal Reinhard Marx und Bayerns evangelischem Landbischof Heinrich Bedford-Strohm zusammen mit dem anglikanischen Erzbischof Thabo Makgoba aus Südafrika eine nachdenkliche und bestärkende Feier. Unter die Besucher hatte sich zu diesem Zeitpunkt auch schon Schauspieler Ben Becker gemischt, der einst als "Tod" in Stückls Salzburger Inszenierung des "Jedermann" glänzte.
Gäste aus Kirche, Politik und Fernsehen
Bei sommerlichem Temperaturen und weiß-blauem Himmel fanden sich bis 14.30 Uhr zunehmend mehr Premiere-Gäste ein. Darunter von kirchlicher Seite der Apostolische Nuntius Nikola Eterovic, die Bischöfe von Augsburg, Bamberg und Passau, Bertram Meier, Ludwig Schick und Stefan Oster, die Benediktiner-Äbte von Ettal und Metten sowie vom Zentralrat der Juden in Deutschland dessen Präsident Josef Schuster und die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch.
Auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gab sich mit Teilen seines Kabinetts ein Stelldichein. Landtagspräsidentin Ilse Aigner war gekommen, ebenso der Chef des Hauses Wittelsbach, Herzog Franz von Bayern.
Für die Promi-Spalten der bunten Blätter gab es genügend "Futter". So waren unter den Gästen Stars wie Uschi Glas, Rufus Beck, Udo Wachtveitl, Clemens Schick, Götz Otto oder Eckart von Hirschhausen zu entdecken. Damit zeigt sich, dass Oberammergau noch immer ein Anziehungspunkt ist.
Selbst Bayerns Märchenkönig Ludwig II. war einst zu einer Privatvorstellung gekommen. Ganz allein - wie sonst bei Wagner-Opern - saß er im Theater. Bewegt von dem Spiel lud er die Darsteller der zwölf Apostel nach Schloss Linderhof ein. Für elf der Jünger soll es einen Silber-Löffel gegeben haben, nur der "Judas" musste mit einem aus Blech zufrieden sein.
Jesus und seine Fans
Seither wurde immer mehr technischer Aufwand für das Bühnenbild getrieben. Die künstlerische Leistung der Oberammergauer drang über die bayerischen Grenzen. 1880 erleichterte der Ausbau der Bahnstrecke bis Murnau die Anreise. Ein Londoner Reisebüro sorgte für internationale Gäste. Die kamen nun bis aus Übersee. Einer von ihnen war Henry Ford. Der US-Industrielle war von Anton Lang (1875-1938) als Jesus so fasziniert, dass er ihm sogar ein Auto schenkte.
Lang, der ab 1900 insgesamt dreimal den Christus gab, muss für die Zuschauer ein Superstar gewesen sein. Wie es heißt, ließen sich manche sogar von ihm segnen, wenn er ihnen im Ort über den Weg lief. Postkarten mit Langs Abbild werden nach wie vor im Internet gehandelt. So weit ist es bei Frederik Mayet noch nicht. Der 42-jährige Familienvater verkörpert zum zweiten Mal den Jesus. Kurz vor der Premiere hatte er noch den Nerv, mit den Leuten fürs gemeinsame Selfie ins Smartphone zu lächeln.
Wenig später zog er dann unter den Halleluja-Rufen auf der offenen Bühne des Theaters in Jerusalem ein. Esel Aramis trug ihn geduldig zu seinem Auftritt und ließ sich auch von den mit großen Palmblättern wedelnden Kindern und Erwachsenen nicht irritieren.