"Je öfter man es gemacht hat, stellt sich die Frage, was gibt es eigentlich noch zu erzählen, komme ich der Sache überhaupt nahe?" Zum vierten Mal führt Christian Stückl Regie bei den Oberammergauer Passionsspielen. Bei seiner Premiere 1990 war er 28, so jung wie kein Spielleiter vor ihm. Mit nun 60 Jahren glaubt er, von der Sache weiter weg zu sein als je zuvor: "Weil es so schwierig ist, weil man sich selber hinterfragt. Weil man selbst Fragezeichen hat, die nicht beantwortet werden."
Ein Mann, der für seine Sache brennt
Für die Reihe "Lebenslinien" hat Filmemacherin Petra Wiegers den Theatermann über zwei Jahre bei den Vorbereitungen für das Passionspiel begleitet. Unter dem Titel "Meine große Passion" ist ihr 45-minütiges Porträt am 9. Mai um 22 Uhr im BR-Fernsehen zu sehen, am 15. Mai um 13.15 Uhr im Ersten.
Vorgestellt wird ein Mann, der für seine Sache brennt; der sich mit Tatendrang und vielen Ideen in Projekte stürzt, sei es das Spiel vom Leiden und Sterben Jesu, der Bau des neuen Münchner Volkstheaters, wo er als Intendant wirkt, oder sein Einsatz für einen 2015 aus Afghanistan geflohenen jungen Mann.
Sein Basislager ist dabei immer Oberammergau. Dort kam er 1961 zur Welt. Für seine Eltern, Wirtsleute, war es das erste Kind. Schwester Renate folgte 1963, Bruder Michael 1965. Im Fotoalbum zeigt ihn ein Bild als Kommunionkind mit Kerze und Trachtenanzug. "So fromm habe ich ihn nie wieder gesehen", sagt der Vater. Die längeren Haare des Filius erklärt er damit, dass es auf die 70-er Passion hinging. Der Haar- und Barterlass verpflichtet die Bürger alle zehn Jahre, dem Gelübde von 1633 Folge zu leisten.
Stückl flog wegen Schwänzens aus der Schule
"Mich hat alles mit Kirche fasziniert", erinnert sich der Sohn. Regelmäßig ging er nach der Erstkommunion zum Gottesdienst, wollte Ministrant werden. Doch weil sein Cousin schon Messdiener war, lehnte der Pfarrer ab: "Ein Stückl reicht." So wurde der Bub "Hilfsmesner", und der Kirchenspeicher für ihn zum Erlebnisspielplatz. Die Kamera begleitet ihn dorthin zurück, wo ein Fenster über eine barocke Engelsfigur hinweg den Blick freigibt in den Kirchenraum.
Wie ein Zeremonienmeister sorgte Christian dafür, dass in der Osternacht zu Beginn alles dunkel ist. Selbst die "Notausgang"-Schilder durften nicht leuchten, um wirklich die perfekte Inszenierung für das "Lumen Christi", das Licht Christi, zu erzielen. Seinem Opa dankte der Enkel, dass er "katholisch" sei. Denn den Besuch mit der evangelischen Oma in deren Gottesdienst findet er schlicht "fad". Nicht einmal ein "gescheites Gewand" hätten die Protestanten.
Sein schulischer Weg führte ihn in das Gymnasium der Ettaler Benediktiner. Doch mit 13 Jahren flog Stückl wegen Schwänzens raus - die Kostüme fürs Krippenspiel mussten fertig werden. Nach zwei weiteren Schulwechseln schloß er mit der Mittleren Reife ab. Der Gedanke, Pfarrer zu werden, sei durchaus da gewesen.
Doch so wie sich die Kirche etwa gegenüber Geschiedenen verhalte und immer wieder neue Strafen erfinde, sei es nicht das gewesen, was er gewollt habe. So lernte er erstmal Bildhauer. Doch die Einsamkeit des Ateliers war nicht seins, er musste unter die Leute.
Theater als etwas Integrierendes
Der Film erzählt, wie der junge Stückl lernt, sich nach und nach Respekt zu verschaffen, auch gegenüber jenen, die ihn als Spielleiter anfangs anfeinden. Bis heute gilt für ihn, dass jede Tradition hinterfragt werden muss. Theater hat für ihn etwas Integrierendes, deshalb sollte irgendwann auch die Regel wegfallen, dass nur mitspielen darf bei der Passion, wer im Ort geboren wurde oder 20 Jahre dort lebt.
Weggefährten kommen zu Wort. Einer von ihnen ist Frederik Mayet. Sein zweimaliger Jesus-Darsteller und künstlerischer Direktor am Volkstheater weiß, wie er mit dem Chef umzugehen hat, auch wenn der einmal aufgebracht ist.
Vor dem Tod, sagt Stückl, habe er keine Angst, aber vor dem Sterben. Sein leichter Herzinfarkt im Februar hat ihm Grenzen aufgezeigt. Mit dem Rauchen ist seither Schluss. "Für mich ist das Leben wichtig", sagt der Regisseur, "der Tod kommt automatisch."