DOMRADIO.DE: Tornados in Westfalen, in Lippstadt wurde sogar ein Kirchendach abgedeckt. Was wir jetzt am Wochenende an Unwetter erlebt haben und letztes Jahr im Ahrtal, droht uns so was jetzt regelmäßig?
Karsten Schwanke (ARD-Wetterexperte und Dipl. Meteorologe): Ich würde mal sagen, die Einschläge des Klimawandels kommen in der Tat näher. Wenn man sich mal für die letzte Woche noch mal die Großwetterlage vor Augen führt, haben wir unglaublich viele neue Wetter-Rekorde aufgestellt, gerade im Westen und im Südwesten Europas. Spanien über 42 Grad, Frankreich über 37 Grad. Das sind Hitzewellen. Wir haben Mitte Mai, also sind das Hitzewellen, die zu dieser Jahreszeit sehr außergewöhnlich sind. Die zeigen vor allem erst einmal diesen Klimawandel.
Bei Tornados gibt es einfach immer diese Einschränkung, inwieweit sich Tornados auf den Klimawandel zurückführen lassen oder eben eine Veränderung, eine Zunahme an Tornados überhaupt zu erwarten ist. Das ist ein großes Fragezeichen, das wissen wir nicht. Aber alles andere vom Ahrtal über starke Gewitter, über große Hagelkörner, über Sturmböen und vor allem Hitzewellen, all das passt genau in dieses Schema Klimawandel, das wir erwarten.
DOMRADIO.DE: Woran liegt das? Haben sich irgendwo die Zonen verschoben? Das erleben wir jetzt ja in ganz Europa.
Schwanke: Es liegt einfach wirklich an diesem weltweiten Temperaturanstieg, der aus meiner Sicht noch immer nicht verstanden ist. Und zwar bei der breiten Masse der Bevölkerung, auch bei vielen Entscheidungsträgern nicht. Wir haben bisher weltweit einen mittleren Temperaturanstieg von 1,1 Grad. Das klingt nach nichts, und dass es nach so wenig klingt es in meinen Augen unglaublich gefährlich, weil es nämlich verharmlost, was wirklich passiert.
Nehmen wir nur mal Köln. Innerhalb der letzten 60 Jahre ist weltweit die Temperatur um 0,8 Grad angestiegen. Die Hitzewellen in Köln sind um vier bis fünf Grad wärmer geworden in dieser Zeit. In den 60er Jahren hatten wir die heißesten Tage des Jahres im Bereich von 31 Grad. Heute sind wir bei 36 Grad. Das heißt, in 60 Jahren werden wir bei 40 Grad im Mittel sein mit Ausschlägen weit darüber hinaus. Das ist der Klimawandel. Der führt dazu, dass wir mehr Wasserdampf in der Atmosphäre haben, mehr Wolkenbildung, mehr Starkniederschläge und so weiter.
DOMRADIO.DE: Jetzt kommt ja immer wieder mal die Meinung auf, egal was wir hier in Deutschland oder auch in Europa machen, solange auf der anderen Seite des Planeten in Asien zum Beispiel nichts geändert wird, ändert sich grundsätzlich am Klima nichts. Muss man wirklich global denken, um den Planeten zu retten?
Schwanke: Wir müssen definitiv global denken. Wobei es natürlich sehr einfach zu sagen ist "Wenn wir hier was tun, das bringt ja nichts, wir machen ja nur 2% des CO²-Ausstoßes". Man kann sich zurücklehnen und zeigt mit dem Finger auf andere.
Wir dürfen aber nicht vergessen, dass wir das Land Nummer vier sind mit dem weltweit höchsten Treibhausgasausstoß. USA, China, Russland und dann kommen wir. Und diese anderen drei Länder vor uns haben deutlich mehr Menschen. Das heißt, pro Kopf sind wir ganz weit vorn.
Ich bin überzeugt: Das Land, was als erstes zeigt, dass es geht mit einem Wechsel innerhalb der Art und Weise, wie wir uns gesellschaftlich verhalten, wie wir den Strom erzeugen, wie wir unsere Industrieproduktion aufstellen, wird sich wirtschaftlich ein ganzes Stück weiter nach vorne an die Weltspitze katapultieren. Es sollte also auch aus wirtschaftlicher Sicht unbedingt eigentlich ein Ziel von uns sein, alles dafür zu tun, dass wir diesen Wechsel hinbekommen.
DOMRADIO.DE: Da spielen die Kirchen vielleicht auch eine große Rolle. Die rufen natürlich auch zur Wahrung der Schöpfung auf. Der Münsteraner Umweltbischof Rolf Lohmann mahnt auch schnelle Aktivitäten an. Bei einem Umwelt-Festival im Bistum Münster stellte er vor, wo es bereits gute Fortschritte im Klimaschutz generell gibt, aber auch, wo Kirche und Gesellschaft noch Nachholbedarf haben. Wenn Sie jetzt einer Gemeinde einen Tipp geben müssten, wo man ohne großen Aufwand schnell was bewirken kann, was wäre das?
Schwanke: In erster Linie natürlich bietet es sich zum Beispiel an darüber nachzudenken, auf welchen Dachflächen man eine eine Photovoltaikanlage aufstellen kann. Wie man sich zum Gottesdienst bewegt, wäre Punkt Nummer zwei. Da muss man nicht mit dem Auto hinfahren. Ältere Menschen, die nicht mehr gut zu Fuß sind, kann man einsammeln.
Auch an der Art und Weise wie wir uns ernähren, kann jeder Mensch etwas ändern. Weniger Fleisch, regionale Produkte, auch die tragen unglaublich viel zum Klimaschutz bei. Da sehe ich dann gerade die Kirchen, die auch in diesem Kontext "bewahren" unterwegs sind, wirklich aufgefordert zu sagen "Lasst uns darüber reden, wie wir am meisten bewahren können".
DOMRADIO.DE: Hand aufs Herz, haben wir noch eine Chance, das Klima zu retten?
Schwanke: Wir müssen um jedes Zehntel Grad kämpfen. Ich glaube, ganz ehrlich, wir werden kaum noch eine Chance haben, die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens einzuhalten. Aber wir müssen versuchen, jedes Zehntel Grad mehr zu verhindern. Jedes Zehntel Grad lohnt sich. Ein Grad klingt nach so wenig, aber die lokalen Auswirkungen sind deutlich stärker und da müssen wir unbedingt ran. Und dann können wir es noch halbwegs schaffen.
Das Interview führte Oliver Kelch.