KNA: Herr Pater Maader, als Sie vom damaligen Limburger Bischof Wilhelm Kempf den Auftrag bekamen, eine Seelsorgestelle am Frankfurter Flughafen aufzubauen, trauten Sie sich nicht zu widersprechen: "Wenn ein Bischof anfragt, sagt man Ja und Amen", schreiben Sie.
Pater Walter Maader: Das war eine andere Zeit. Da hat man als Priester seinem Bischof hundertprozentig vertraut, es gab ein Grundvertrauen zu ihm. Auch wenn ich damals unsicher war, ob Bischof Kempf mit mir den Richtigen ausgewählt hatte: Rückblickend war es die Chance meines Lebens. Was wir inzwischen erlebt haben mit Vorwürfen gegen frühere Bischöfe über Vertuschungen von Missbrauch - das ist eine Katastrophe, da ist das Vertrauen inzwischen mehrfach erschüttert worden.
KNA: Sie waren auf dem Frankfurter Flughafen mehr als 30 Jahre lang mitten im Leben. Fehlt der Kirche dieses Mittendrin sein heute?
Maader: Das hat ihr schon damals gefehlt. Wenn ich als Flughafenseelsorger in Gemeinden kam, habe ich oft bemerkt, dass die Pfarrer überhaupt keine Ahnung hatten, was ihre Gemeindemitglieder eigentlich beruflich machen. Dann hab' ich mehrere Pfarrer eingeladen auf den Frankfurter Flughafen. Wir haben sie alle in einen Bus gepackt und sind rausgefahren aufs Vorfeld, wo richtig malocht wurde. Da war manch ein Pfarrer überrascht, Leute aus seiner Gemeinde zu sehen. Und er merkte auch, warum ein Arbeiter am Sonntagmorgen nicht in die Messe kommen konnte, weil er nämlich vorher Nachtdienst hatte.
KNA: Heute kennen viele Pfarrer die Lebenswirklichkeit ihrer Gemeindemitglieder ebenfalls kaum.
Maader: Wenn ich heute mit Pfarrern spreche, höre ich oft: Wir haben morgens, nachmittags und abends Sitzungen. Oft sind das aber nur Kirchen-Insider und Hauptamtliche, die sich da besprechen. Und ich frage mich: Wen von seiner Gemeinde hat der Pfarrer heute denn eigentlich gesehen?
KNA: Sie plädieren für direktes Zugehen auf die Leute.
Maader: Ja, und das ist etwas, was man lernen muss. Das konnte ich am Anfang auch noch nicht. Man dachte selbst ja, man müsse als Priester "etwas Höheres" sein. Mir wurde aber schnell klar: Das geht so nicht, du musst zu den Leuten hin.
KNA: Sie fordern heute "Kühnheit" im Raum der Kirche.
Maader: Ja, Wagemut ist wichtig. Pfarrer dürfen keine Menschenangst haben. Es gibt heute noch Priester, die sich möglichst einpuppen und eine fromme, betrachtende Lebensweise führen. Das muss überwunden werden: Wir müssen hingehen zu den Leuten, mit ihnen leben, mit ihnen feiern, so dass sie sehen: Der Pfarrer ist ja ein ganz normaler Mensch, der nicht verklärt ist.
KNA: Ist das Leben am Flughafen eine Metapher für das Leben?
Maader: Ja, das Leben ist wie ein Flughafen, es gibt ein Kommen und Gehen. Man sollte sich nicht zu fest einrichten. Und alle wollen eigentlich weiter.
KNA: Auch mit dem Tod waren Sie nicht selten konfrontiert ...
Maader: Wir hatten pro Jahr allein im Flughafen Frankfurt den Tod von rund 40 Menschen zu betrauern - darunter Flughafenmitarbeiter, aber auch Passagiere, die auf einem Flug oder am Urlaubsort verstorben waren. Das Leben hier auf Erden ist ein Vorübergehen, dann kommt das eigentliche, wirkliche Leben.
KNA: Sie schreiben von Passagieren, die bei Flügen sagten: Je höher ich komme, desto mehr staune ich über das, was ich sehen kann, und spüre dahinter Gott.
Maader: Ja, aber nur diejenigen, die vorher schon den Kontakt zu Gott hatten. Diejenigen, die mit Gott was im Sinn haben, die spüren eine Erhebung, auch physisch. Es geht nach oben. Dort staunt man, und mit dem Staunen beginnt das Herz zu sehen. Heute haben viele Menschen aber das Staunen verlernt, weil sie Vieles als selbstverständlich ansehen.
KNA: Ist Staunen eine Voraussetzung für den Glauben?
Maader: Natürlich. Da staunt man nur.
KNA: In der Bibel heißt es, dass Jesus Christus am 40. Tag nach seiner Auferstehung in den Himmel aufgestiegen sei. Wie stellen Sie sich "Christi Himmelfahrt" vor?
Maader: Ich glaube, dass er heimgekehrt ist. Das war sicher anders als bei Astronauten. Er war einfach nicht mehr da, Gott hat ihn entzogen.
KNA: Kehren wir auf die Erde zurück: Bei Ihnen im Büro am Frankfurter Flughafen saß mal Mutter Teresa und sagte Ihnen, dass sie jemanden Bestimmten anrufen wolle.
Maader: Ja, den damaligen amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan. Mir kam das sehr verwegen vor.
KNA: Wie ging das vor sich?
Maader: Ich wollte schon die US-Botschaft in Deutschland anrufen, weil ich natürlich die Nummer des US-Präsidenten nicht hatte - als Mutter Teresa plötzlich ein Büchlein zückte und mir eine Nummer nannte. Nach einigen Minuten hatte sie tatsächlich Reagan am Apparat. Sie kam gerade aus dem Südsudan, wo Kinder verhungerten und bat den US-Präsidenten, drei Flugzeuge mit Hilfsgütern hinzuschicken. Reagan stimmte sofort zu. Das Gespräch dauerte nicht lange.
KNA: Was sagt das über Mutter Teresa aus?
Maader: Sie war sehr beliebt und sehr gut vernetzt, sie hatte die Telefonnummer von vielen bekannten Leuten, auch von Helmut Kohl. Sie hätte am Flughafen jederzeit eine VIP-Betreuung erhalten. Das wollte sie aber nicht, sie wollte auch nicht in der 1. Klasse sitzen.
KNA: Sie haben Johannes Paul II. getroffen - als Krakauer Bischof, Kardinal und als Papst. Wie war er?
Maader: Er war ein ganz normaler Mensch. Bischöfe oder Kardinäle sind am Flughafen genauso fremd wie jeder andere. Nur weil jemand Kardinal ist, weiß er nicht, wo zum Beispiel Gate 52 ist und hat unsere Hilfe gebraucht.
KNA: Johannes Paul II. wurde später heiliggesprochen. Hatten Sie je das Gefühl, dass Sie einem Heiligen begegnet sind?
Maader: Ja, davon bin ich wirklich überzeugt, auch bei Mutter Teresa. Das waren außergewöhnliche Persönlichkeiten, die sich unterschieden haben von anderen durch ihre Bescheidenheit, aber auch durch ihre Sicherheit. Gespürt habe ich das auch bei manchen, die nicht heiliggesprochen wurden, etwa beim brasilianischen Erzbischof Dom Helder Camara. Wenn der kam mit seiner alten Aktentasche: Er war ein so feiner, wohltuender, froh machender Mensch.
Das Interview führte Norbert Demuth.