DOMRADIO.DE: Der Preis geht ja oft an Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen und ein wichtiges Amt bekleiden. Papst Franziskus ist beispielsweise auch mit dem Karlspreis ausgezeichnet worden. Welche Botschaft sendet es, dass der Preis nun an diese drei Frauen aus Belarus geht, die sich für Menschenrechte eingesetzt haben?
Petra Bosse-Huber (Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland / EKD): Ich bin sehr froh, dass diese drei Frauen ausgewählt worden sind, denn sie sind Leitfiguren in Belarus für eine gewaltfreie politische Bewegung, die versucht, für Menschenrechte, gegen Totalitarismus und für Demokratie einzustehen.
Eine dieser Frauen musste dafür sogar ins Gefängnis gehen, ist seit September 2020 inhaftiert und jetzt zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Das zeigt, wie groß auch die Angst des Regimes vor diesen drei Frauen gewesen ist in Belarus.
DOMRADIO.DE: Der Karlspreis soll ja auch Menschen auszeichnen, die sich für die europäische Einigung und für ein Europa eingesetzt haben. Welches politische Zeichen an die osteuropäischen Länder geht jetzt davon aus?
Bosse-Huber: Das ist einfach eine Stärkung all derjenigen, die sich für einen demokratischen Aufbruch stark gemacht haben in der Vergangenheit in Osteuropa oder das auch in Zukunft noch wollen. Im Moment ist das natürlich, was Belarus angeht, eine außerordentlich angespannte Situation. Denn viele dieser Engagierten sind komplett desillusioniert und sind in tiefer Hoffnungslosigkeit, weil die Repression in Belarus so zugenommen hat.
Für diejenigen ist das, glaube ich, eine große Ermutigung mit dem Karlspreis, dass Europa hinschaut, dass es nicht egal ist, was in Belarus passiert, sondern dass es Menschen gibt, die an der Stelle die zivilgesellschaftlichen Kräfte nach Kräften auch unterstützen wollen. Der Preis ist eine Möglichkeit, das zu tun. Trotz des Verfolgungsdrucks in Belarus, trotz der vielen politischen Gefangenen, die es gibt und zuletzt natürlich auch noch der Ausweitung der Todesstrafe für sogenannte Terroristen, die auch politische Gefangene betreffen könnte.
DOMRADIO.DE: Wie beeinflusst denn der Ukraine-Krieg die Situation der Gefangenen besonders in Belarus?
Bosse-Huber: Ich stelle mit Bedauern fest, dass die Aufmerksamkeit, die sowieso nach den friedlichen Demonstrationen 2020 sehr nachgelassen hatte im Westen, jetzt auch noch mal gemindert wird durch den Ukraine-Krieg. Denn Menschen sind natürlich sehr interessiert an dem, was in der Ukraine passiert und schauen weniger hin auf das, was in Belarus passiert. Gerade die Menschen, die natürlich aus Belarus in die Ukraine geflohen sind, weil sie engagiert waren, weil sie von den belarussischen Kräften verfolgt wurden, die stehen jetzt vor dem Problem, dass sie weiter fliehen müssen aus der Ukraine dann in weitere osteuropäische Länder. Das ist alles ein großes Trauerspiel, was sich da vor unseren Augen abspielt.
Aber umso wichtiger ist es, dass Europa hinschaut und dass diese drei Frauen stellvertretend für die vielen, die das betrifft, hier ausgezeichnet werden. Auch für die vielen politisch Gefangenen, die in Belarus einsitzen. Das sind schätzungsweise im Moment mehr als 1.200 Menschen, die völlig ohne Unterstützung, völlig ohne Öffentlichkeit als politische Gefangene in Belarus inhaftiert sind. Und da kann man gar nicht genug Öffentlichkeit in Europa schaffen.
DOMRADIO.DE: Sie haben versucht, diese Öffentlichkeit auch zu schaffen. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat ja schon im vergangenen Jahr dazu aufgerufen, Briefe an politische Gefangene in Belarus zu schreiben. Wie ist die Aktion verlaufen?
Bosse-Huber: Sehr gut. Wir haben die Aktion mal, als sie begann, 100 x Solidarität genannt. Wir hatten damals die Vorstellung, es wären ungefähr 100 politische Gefangene. 1.200 sind es aber mindestens, die wir namentlich auch kennen, die inhaftiert sind. Und wir ermutigen alle, einen Brief an eine inhaftierte Person zu schicken. Spenden helfen natürlich an der Stelle auch. Und wer von den engagierten Menschen hier in Deutschland sich da auch beteiligen möchte, findet alle Informationen unter 100xSolidaritaet.de.
Ich glaube, man kann das gar nicht hoch genug einschätzen. Diese Personen haben häufig das Gefühl, sie sind von aller Welt vergessen worden. Wenn da ein Brief ankommt, dann ist das so ein Lebens- und Ermutigungszeichen, wie man das überhaupt nicht hoch genug einschätzen kann. Insofern die große Ermutigung: Schicken Sie Briefe an diese inhaftierten politischen Gefangenen, damit sie auch wirklich erleben: Wir sind nicht vergessen.
Das Interview führte Michelle Olion.