Bundesweite Aktionswoche der Caritas-Schuldnerberatung

"Keiner verschuldet sich absichtlich"

Die Lebensmittelpreise und Energiekosten steigen. So wird die Überschuldung zu einem Problem. Die Caritas fordert mit einer Aktionswoche kostenlose Schuldnerberatung. Koordinator Klaus Gärtner sieht auch die Kommunen in der Pflicht.

Symbolbild: Junge Frau macht sich Sorgen um ihre Schulden / © Thomas Andre Fure (shutterstock)
Symbolbild: Junge Frau macht sich Sorgen um ihre Schulden / © Thomas Andre Fure ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Ihre Aktionswoche läuft noch bis Freitag. Was wollen Sie erreichen? 

Klaus Gärtner (Koordinator Schuldnerberatung beim Caritasverband für den Kreis Mettmann): Es geht uns darum, auf das Problem der Überschuldung und dem Zugang zur Schuldnerberatung aufmerksam zu machen. Es ist so, dass nicht überall jeder einen kostenlosen Zugang zur Schuldnerberatung bekommt.

Caritas fordert kostenlose Schuldnerberatung / © Pormezz (shutterstock)
Caritas fordert kostenlose Schuldnerberatung / © Pormezz ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Spüren Sie denn seit der Corona-Pandemie einen erhöhten Andrang bei der Schuldnerberatung? 

Klaus Gärtner, Koordinator Schuldnerberatung beim Caritasverband für den Kreis Mettmann

"Schuldnerberatung (...) kann Existenzen retten. Das heißt, es ist also letztendlich auch gesamtwirtschaftlich und gesamtgesellschaftlich eine Geschichte, die sich auszahlt."

Gärtner: Wir merken, dass Leute zu uns kommen und unter Druck geraten. Es ist nicht so, als wären massig Leute überschuldet, aber das ist eine Frage der Zeit. Es wird immer enger. Das Problem ist, dass wir mehrere Krisen haben, die sich miteinander verbinden. Die steigenden Lebensmittelkosten sind ein Problem. Wir kommen auch langsam in den Bereich, dass Stellen bei den Arbeitgebern teilweise reduziert werden, weil die einfach nicht auf dem Level von vor der Corona-Zeit sind. Das ist ein Problem, was uns so langsam einholt. 

Caritas Deutschland

Der Deutsche Caritasverband (DCV) ist der größte Wohlfahrtsverband Europas. Die Dachorganisation katholischer Sozialeinrichtungen setzt sich für Menschen in Not ein. Mit rund 690.000 hauptamtlichen Mitarbeitern - 80 Prozent sind Frauen - ist die Caritas zudem der größte private Arbeitgeber in Deutschland. Der Begriff "caritas" stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Nächstenliebe. Sitz des 1897 gegründeten Verbands ist Freiburg. Wichtige Bedeutung haben die Büros in Berlin und Brüssel.

Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus (KNA)
Hinweisschild der Caritas / © Michael Althaus ( KNA )

DOMRADIO.DE: Ist das im Moment noch die Ruhe vor dem Sturm? Kommt bald der große Knall? 

Gärtner: Das könnte sein. Wir rechnen schon damit, dass es irgendwan zu steigenden Zahlen kommt. Aber es ist ein bisschen Kaffeesatzleserei im Moment. Wir wissen nicht, wie sich der Krieg entwickelt, wir wissen nicht, wie sich die Preise entwickeln.

Fakt ist jedenfalls: Wir haben jetzt schon in Deutschland laut einer Studie des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands 14 bis 15 Prozent Menschen, die an der Armutsgrenze leben, die also vorher schon ein Problem hatten. Die werden irgendwann ein noch größeres Problem bekommen, über den Monat zu kommen. Wir gehen davon aus, dass das Leute sind, die nur maximal 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. 

DOMRADIO.DE: Es gibt viele Gründe, dass man sich verschuldet. Mit welchen Problemen kommen Betroffene zu Ihnen? 

Gärtner: Das ist ganz unterschiedlich. Man kann meistens irgendeine Art von Lebensbruch ausmachen - eine Trennung, der Verlust des Arbeitsplatzes ist ein Grund, der sehr oft vorkommt. Krankheit kann ein Grund sein.

Wir reden von Lebensbrüchen in dem Moment. Das führt dazu, dass Lebensplanungen scheitern und deswegen letztendlich auch die finanzielle Planung nicht mehr funktioniert. 

DOMRADIO.DE: Vielleicht haben die Menschen auch Angst davor, die Zahlen offenzulegen? Wie gehen Sie normalerweise in der Beratung vor?

Gärtner: Das ist ein Problem. Die Leute haben schon eine riesengroße Hemmschwelle, hier hinzukommen. Man muss sich ja auch outen, das man es in irgendeiner Form, "nicht geschafft hat". Wobei diese individuelle Schuld in der Regel nicht da ist. Keiner verschuldet sich absichtlich.

Ich habe den Wahlspruch: Ich möchte, dass die Leute mindestens ein, zwei Zentimeter größer rausgehen, als sie reingekommen sind. Das heißt also, mir geht es erst mal darum, den Druck wegzunehmen, auch mal zu sortieren, was muss ich denn jetzt tun, wenn ich überschuldet bin? Was sind die wichtigsten Sachen, um die ich mich kümmern muss? Und welche Sachen sind dann weniger wichtig? Einfach, damit es nicht noch größere Probleme gibt, dass die Wohnung irgendwann verloren geht oder ich irgendwann ohne Strom dasitze. 

Klaus Gärtner, Koordinator Schuldnerberatung beim Caritasverband für den Kreis Mettmann

"Ich möchte, dass die Leute mindestens ein, zwei Zentimeter größer rausgehen, als sie reingekommen sind."

DOMRADIO.DE: Was fordern Sie speziell angesichts dieser laufenden Aktionswoche? 

Gärtner: Es geht uns darum, ganz deutlich zu machen, dass nicht überall in Deutschland der Zugang zur Schuldnerberatung gegeben ist. Es gibt Gruppen, die einfach keine Möglichkeit haben, eine Schuldnerberatung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, sie gehen zur gewerblichen Schuldnerberatung. Dafür muss man aber auch Geld in die Hand nehmen. Das ist natürlich nicht da, wenn man überschuldet ist.

In der Regel sollte es so sein, dass für die Kunden die Schuldnerberatung kostenfrei ist, dass also Kommunen das übernehmen. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, wie ich gerade schon sagte. Deswegen fordern wir, dass jeder einen freien Zugang zur Schuldnerberatung haben sollte. Zumal wir auch davon ausgehen, dass sich die Armutssituation beziehungsweise die Überschuldungssituation mehr in den Mittelstand bewegt.

Aus dem einfachen Grund, weil wir derzeit billiges Geld haben. Wir hatten in den letzten Jahren billiges Baugeld. Viele Leute haben Immobilien gekauft, aber das wird nicht so bleiben. Das heißt, da wird uns auch noch einiges entgegenkommen - wie gesagt, auch in Kombination mit steigenden Lebenshaltungskosten und Energiekosten. 

Das Interview führte Tobias Fricke.

Quelle:
DR