DOMRADIO.DE: Können Sie uns schildern, wie das Verhältnis von Monarchen und Untertanen in der anglikanischen Kirche religiös begründet ist?
Prof. Dr. Wolfram Kinzig (Kirchenhistoriker Uni Bonn): Das ist gar nicht so einfach zu schildern, weil sich das über einen langen Zeitraum entwickelt hat. Es geht los mit der Reformation unter Heinrich VIII. ab 1531. Das war der mit den vielen Frauen, der sich scheiden lassen wollte, weil er keinen männlichen Erben hatte.
Dann hat sich die englische Nationalkirche eigentlich am meisten unter Elisabeth I. ausgeprägt. Und das hat dazu geführt, dass wir jetzt eine reformatorisch geprägte englische Staatskirche haben. Man kann die Rolle des Monarchen am besten an dem Titel ablesen. Die Königin heißt offiziell "von Gottes Gnaden Königin des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland und ihrer anderen Reiche und Gebiete, Oberhaupt des Commonwealth, Verteidigerin des Glaubens".
Daran kann man sehen, dass die Kirchenleitung bei der Königin liegt und die Untertanen damit verrückterweise Mitglieder der englischen Kirche sind, auch wenn sie einem anderen Glauben angehören.
DOMRADIO.DE: Die Königsfamilie ist heute sehr um ihr Bild in der Öffentlichkeit bemüht. Ist denn die Königsfamilie selbst immer noch davon überzeugt, dass sie durch Gottes Gnaden, durch Gott privilegiert, in dieser Position ist? Was meinen Sie?
Kinzig: Das glaube ich jetzt eher nicht. Allerdings ist bekannt, dass die Queen tief religiös ist. Die Königsfamilie tendiert dabei zur hochkirchlichen Tradition innerhalb der anglikanischen Kirche, also die Tradition, die dem römischen Katholizismus nahesteht. Zum Beispiel Princess Margaret, die Schwester der Königin, war bekannt, dass sie sehr fromm gewesen ist.
Auch die Queen trifft sich regelmäßig mit dem Erzbischof von Canterbury, und man muss aber dann unterscheiden zwischen der privaten Frömmigkeit der Familie und der öffentlichen Rolle. Und da hält man sich sehr zurück. Prinz Charles hat sogar jetzt mal gesagt, er sähe sich nicht mehr als Verteidiger des Glaubens, sondern als Verteidiger von Glauben, also religiös inklusiv. Er meinte damit auch die anderen Religionen.
DOMRADIO.DE: Das ist wirklich ein komplexes Gefüge zwischen Volk, Monarch und Kirche. Welche Rolle spielt die anglikanische Kirche da?
Kinzig: Ich glaube, dass das eine immer geringere Rolle ist. Wir finden gerade in Großbritannien eine atemberaubende Säkularisierung. Das geht viel schneller als bei uns, nach meiner Beobachtung, vor allem in den großen Städten. In Folge von Immigration sind andere Religionen wie etwa der Islam oder der Hinduismus viel stärker geworden, prägen gerade das städtische Leben.
Es ist nicht so ganz einfach zu bestimmen, wie viele Christen es gibt, weil es keine offizielle Religionszugehörigkeit gibt. Alte Statistiken, die zehn Jahre alt sind, rechnen mit knapp 60 Prozent Christen, aber ich glaube, dass das deutlich darunter liegt. Insofern spielt die Kirche auch dann für die Definition des Verhältnisses eine immer geringere Rolle.
DOMRADIO.DE: Gibt es in Großbritannien noch Menschen, die glauben, dass die Königsfamilie von Gott dazu berufen ist, quasi als Oberhäupter das Vereinigte Königreich anzuführen?
Kinzig: Nein, die meisten Menschen wissen das ja überhaupt nicht. Und sie fänden eine solche Vorstellung auch wirklich sehr skurril. Aber die Monarchie ist immer noch für viele Menschen ein Stabilitätsanker, und das hat auch mit der Persönlichkeit Elizabeths zu tun.
Der frühere Erzbischof von Canterbury, Rowan Williams, der immer als Republikaner galt, hat gerade in einem Interview gesagt, er sei nach den eindrucksvollen Begegnungen mit Elizabeth nicht mehr so sicher, ob eine republikanische Verfassung eine gute Idee sei.
Aber wenn man die Staatskirche abschaffen würde, zusammen mit der Monarchie, dann müsste das komplett neu organisiert werden und das hätte wahrscheinlich desaströse Folgen für die anglikanische Kirche. Es liegt auch gar nicht im Interesse der anglikanischen Kirche, eine Republik einzuführen. Trotzdem gibt es eine immer größere Kluft zwischen der Bevölkerung, der Kirche und dem Königshaus in religiösen Fragen.
Das Interview führte Hilde Regeniter.