Orthodoxe Rabbiner treffen sich in Zeiten der Krise

"Der Krieg ist für uns alle eine Katastrophe"

Sie saßen zusammen und diskutierten - auch ukrainische und russische Rabbiner. Natürlich fand die Generalversammlung Europäischer Rabbiner im Schatten des Krieges statt. Es gab aber noch mehr Themen.

Autor/in:
Leticia Witte und Christian Wölfel
Rabbi Pinchas Goldschmidt bei der Generalversammlung der Europäischen Rabbinerkonferenz / © Dieter Mayr (KNA)
Rabbi Pinchas Goldschmidt bei der Generalversammlung der Europäischen Rabbinerkonferenz / © Dieter Mayr ( KNA )

Für Moskaus Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt war es einer der schönsten Momente: Hunderte orthodoxe Rabbiner kommen nach langer Corona-Pause wieder zusammen, diskutieren und essen miteinander - darunter waren auch Rabbiner aus der Ukraine und Russland. "Die Brüderschaft und die Freundschaft ist von politischen Ereignissen nicht beeinträchtigt worden", bilanzierte der Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner (CER) am Mittwoch zum Ende der dreitägigen 32. Generalversammlung in München in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Pinchas Goldschmidt, Vorsitzender der Europäischen Rabbinerkonferenz, nimmt an der 32. Generalversammlung der Konferenz der Europäischen Rabbiner teil / © Sven Hoppe (dpa)
Pinchas Goldschmidt, Vorsitzender der Europäischen Rabbinerkonferenz, nimmt an der 32. Generalversammlung der Konferenz der Europäischen Rabbiner teil / © Sven Hoppe ( dpa )

Die Tagung der orthodoxen Rabbiner fand nicht nur in Zeiten des Krieges statt. Sie tauschten sich auch aus über die Herausforderungen für das jüdische Gemeindeleben im Zuge der Pandemie sowie die Religionsfreiheit in Europa. Und: Die Rabbiner gaben sich einen Ethik-Kodex unter anderem zum Umgang mit Missbrauch, Nähe und Distanz sowie Finanzen. Sie gedachten zudem im Olympiapark der während der Olympischen Spiele 1972 ermordeten israelischen Sportler. Und zum Abschluss erinnerten sie in der Gedenkstätte Dachau in einer Zeremonie an die von den Nazis Ermordeten.

Eintreten für Religionsfreiheit

Begonnen hatte die Versammlung mit politischer Prominenz, die unter anderem für Religionsfreiheit eintrat. So zum Beispiel die Antisemitismus-Beauftragte der Europäischen Kommission, Katharina von Schnurbein: Es liege in der Verantwortung der EU-Mitgliedsstaaten, dass religiöse Minderheiten ihre Praktiken leben könnten. Mit einer Konferenz im Herbst wolle sie Vertreter jüdischer und muslimischer Gemeinden zusammenbringen, um bei den Staaten dafür zu werben.

Antisemitismus

Antisemitismus nennt man die offen propagierte Abneigung und Feindschaft gegenüber Juden als Volksgruppe oder als Religionsgemeinschaft. Der Begriff wird seit dem 19. Jahrhundert gebraucht, oft als Synonym für eine allgemeine Judenfeindlichkeit. Im Mittelalter wurden Juden für den Kreuzestod Jesu verantwortlich gemacht und als "Gottesmörder" beschuldigt. Während der Kreuzzüge entlud sich die Feindschaft in mörderischen Ausschreitungen, Vertreibungen und Zwangsbekehrungen.

Teilnehmende einer Demonstration zur Solidarität mit Israel / © Michael Kappeler (dpa)
Teilnehmende einer Demonstration zur Solidarität mit Israel / © Michael Kappeler ( dpa )

Die jeweiligen Regierungen müssten dafür sorgen, dass Praktiken - etwa das rituelle Schlachten von Tieren - geprüft würden, so dass nicht wie vor einigen Jahren in Belgien in Hinterhöfen Tiere ohne Beachtung von Regeln geschächtet würden. Dies habe zu Debatten über Verbote geführt. Schnurbein wurde mit dem Rabbi-Moshe-Rosen-Preis auf der Tagung geehrt: für "herausragendes bürgerschaftliches Engagement für ein tolerantes Europa und ihre unermüdliche Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft".

Ethik-Kodex noch unveröffentlicht

Andere Redner lenkten den Blick auf Antisemitismus unter Muslimen: Aus Sicht des Antisemitismus-Beauftragtes des Europarats, Daniel Höltgen, sind hierbei Regierungen, Religionsgemeinschaften und die Zivilgesellschaft gefragt. Er habe keinen muslimischen Führer in Europa getroffen, der die Existenz radikaler Tendenzen leugnen würde. Der Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz, Thomas Schirrmacher, warb dafür, das Thema Antisemitismus in den christlich-muslimischen Dialog einzubringen.

Einer der Beschlüsse, den die Rabbiner fassten, betraf einen Ethik-Kodex für Rabbiner, der bisher noch nicht veröffentlicht wurde. Im KNA-Interview sagte Goldschmidt, es sei auch wichtig gewesen, "grundsätzlich über möglichen sexuellen Missbrauch, aber auch Machtmissbrauch von Rabbinern gegenüber Gemeindemitgliedern zu sprechen. Die Halacha, das jüdische Religionsgesetz, ist hier sehr deutlich, was etwa den Kontakt zum anderen Geschlecht angeht."

"Wir verstecken nichts unter dem Tisch"

In kleinen Gemeinden und auch in Osteuropa komme es vor, dass die Familien der Gemeinderabbiner nicht vor Ort seien und etwa in Israel lebten. "Dann kann es möglicherweise Probleme geben. Wir sind uns dessen bewusst und verstecken nichts unter dem Tisch", betonte der Oberrabbiner und stellte klar: "Wenn sich jemand mit dem Vorwurf an uns wendet, dass sich ein Rabbiner nicht der Halacha entsprechend verhalten hat und sich herausstellt, dass das stimmt, wird diese Person zur Rechenschaft gezogen."

Wo und wann die europäischen orthodoxen Rabbiner das nächste Mal in dieser Größenordnung zusammenkommen, steht noch nicht fest - und freilich auch nicht, in welcher pandemischen oder politischen Lage. So berührend der Umgang von ukrainischen und russischen Rabbinern untereinander nach den Worten Goldschmidts auch war: Das Leid der Flüchtlinge und das große Engagement der jüdischen Gemeinden für sie war immer wieder auch Thema. Und für den Oberrabbiner von Moskau steht fest: "Der Krieg ist für uns alle eine Katastrophe."

Quelle:
KNA