KNA: Im Februar haben Sie Ihren ersten Tätigkeitsbericht vorgelegt - wo stehen Sie jetzt?
Margarete Reske (Vorsitzende der Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen, UKA): Mit Stand Ende Mai haben wir insgesamt 1.136 Anträge in Sitzungen entschieden, das sind im aktuellen Jahr 420 Entscheidungen in 5 Monaten gegenüber dem Endstand des gesamten Jahres 2021 von 616. Daran sieht man, dass die Bearbeitung durch mittlerweile drei Kammern neben dem Plenum unsere Arbeit deutlich beschleunigt hat.
Während zum Jahreswechsel 949 Anträge noch unerledigt waren, stehen jetzt unter Berücksichtigung der weiteren Eingänge des Jahres 2022 trotzdem nur noch 676 Anträge zur Entscheidung an. Der Bestand sinkt also kontinuierlich und ohne Berücksichtigung von neuen Eingängen müsste der jetzige Bestand dieses Jahr zu schaffen sein.
KNA: Wie viel Anerkennungsleistungen bedeutet das in der Summe?
Reske: Zum Jahreswechsel hatten wir Anerkennungsleistungen in Gesamthöhe von 12,8 Millionen Euro entschieden, dies bezogen auf 616 Fälle. Jetzt, bezogen auf insgesamt 1.136 Entscheidungen, liegen wir bei einer Summe von rund 25 Millionen Euro. Bei unserer alltäglichen Arbeit schauen wir allerdings weder auf Gesamtbeträge noch auf Durchschnittssummen.
KNA: Sondern?
Reske: Wir betrachten aktuell immer nur jeden einzelnen und jede einzelne Betroffene und ihr Schicksal. Wir prüfen jeden Antrag sehr genau - der Berichterstatter, die oder der Vorsitzende und in der Sitzung das zur Entscheidung berufene Gremium - und orientieren die jeweilige Anerkennungsleistung am oberen Rand der Schmerzensgeldtabellen, die wiederum aktuelle Gerichtsentscheidungen wiedergeben. Und dann zahlen wir zeitnah die Anerkennungsleistung aus.
KNA: Wie viele Anträge gehen derzeit bei Ihnen ein?
Reske: Die Zahl der eingehenden Anträge und der Entscheidungen werden jeweils monatsaktuell auf unserer Webseite veröffentlicht. Im Moment gehen rund 40 Anträge pro Monat ein. Zur Erinnerung: im Jahr 2021 waren es in den ersten fünf Monaten insgesamt 1.065 gewesen, also durchschnittlich über 200 pro Monat. Damals waren es zumeist Folgeanträge aus dem früheren Verfahren bei dem UKA-Vorgänger, der Zentralen Koordinierungsstelle (ZKS).
KNA: Und aktuell?
Reske: Sind es zumeist Erstanträge. Wir begrüßen es sehr, dass sich offenbar viele Betroffene jetzt entscheiden, unter der neuen Verfahrensordnung einen Antrag auf Anerkennung zu stellen. Wichtig ist es ja nicht nur, dass in möglichst angemessener Zeit eine Anerkennungsleistung festgesetzt werden kann, sondern auch, dass möglichst allen von Missbrauch durch die katholische Kirche Betroffenen angemessene Anerkennungsleistungen auf der Basis der Verfahrensordnung zukommen können.
KNA: Wie lange müssen Betroffene warten, die ihren Antrag heute einreichen, bis darüber entschieden wird?
Reske: Wir konnten die Wartezeit, die am Anfang über ein Jahr betrug, inzwischen auf unter sechs Monate senken. Ein Antrag, der heute eingeht, wird nach menschlichem Ermessen im Herbst, auf jeden Fall aber noch dieses Jahr entschieden. Natürlich kann sich durch eventuell erforderliche Rückfragen in der Diözese im Einzelfall die Verfahrensdauer im Einzelfall immer noch verlängern. Wir sind aber im Gespräch mit den Ansprechpersonen, dass die Betroffenen in solchen Fällen über die Verlängerung der Bearbeitungszeit informiert werden - wir dürfen ja laut Verfahrensordnung erst nach erfolgter Anerkennungsentscheidung die Betroffenen kontaktieren; alles andere läuft über die kirchlichen Stellen.
KNA: Was sind aktuell die wichtigsten Herausforderungen?
Reske: Eigentlich läuft unsere Arbeit sehr gut. Besonders die Tätigkeit der über 100 Ansprechpersonen in den Diözesen und bei den Orden, die die Gespräche mit den Betroffenen führen, sie bei der Antragstellung begleiten und ganz wesentlichen Anteil am Gelingen dieses ganzen Prozesses haben, ist die unentbehrliche Voraussetzung für unsere Entscheidungen. Sorgen machen uns eigentlich nur wenige Anträge, die noch nicht zur Terminierung in den Sitzungen vorgelegt werden können, weil noch Unterlagen fehlen oder Teile des Sachverhaltes unklar sind. Das liegt aber nicht in unserer Hand. Und irgendwann werden wir auch dort zum Ziel kommen.
KNA: Trotzdem gibt es von Betroffenen immer noch Kritik an dem Verfahren - wie gehen Sie damit um?
Reske: Wir nehmen diese Kritik der Betroffenen sehr ernst. Wir hoffen, ihre Kritik einfühlsam bei unserer Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können. Wir haben sicher in den fast eineinhalb Jahren unserer Arbeit viel dazu gelernt, insbesondere auch, was die früheren Verhältnisse in Heimen, Internaten und Gemeinden angeht. Das gilt auch für den heute fast nicht mehr gelebten kritiklosen Respekt gegenüber Geistlichen und Lehrern und für die früher in weiten Kreisen der Gesellschaft übliche Tabuisierung sexueller Fragen, die fast durchgehend verhinderte, dass Betroffene sich wenigstens gegenüber den eigenen Eltern über erlittenen Missbrauch offenbaren konnten. All die Schilderungen der Betroffenen haben uns Erkenntnisse der Lebensumstände der damals jungen Menschen verschafft, die wir heute sicher besser einordnen können als früher.
KNA: Betroffene dringen aber auch auf ganz konkrete Änderungen, etwa die Möglichkeit, Einspruch gegen die Entscheidungen der UKA einzulegen, was die Bischöfe im Grundsatz ja bereits zugesagt haben.
Reske: Manches, was kritisiert wird, betrifft die Verfahrensordnung, die uns vorgegeben wurde und die nur von der Deutschen Bischofskonferenz geändert werden kann. Grenzen, die bei der Arbeit der UKA deutlich werden, zeigen wir aber auch auf und dringen auf Verbesserung.
Das Interview führte Joachim Heinz.