DOMRADIO.DE: Sie haben sicherlich viel mit Leuten zu tun, die kurz vor dem Kirchenaustritt stehen oder die Kirche vielleicht sogar auch schon verlassen haben. Was ist denn da aus Ihrer Sicht das Hauptmotiv?
Carl Kau (CDU-Politiker und Gründer der Initiative "Katholischer Klartext"): Das kann man nicht mehr monokausal sehen. Das hat viele Gründe, es ist wie ein Puzzle, wie ein Mosaik, das sich zusammensetzt.
Da ist einmal der subjektiv wahrgenommene Reformstau, der sich über Jahre aufgebaut hat. Dann ist der Missbrauchsskandal dazugekommen, der natürlich viele Menschen massiv bewegt. Und da gilt auch nicht die Entschuldigung, dass es auch in der weltlichen Gemeinde vorkomme. Das darf sich eine Glaubensgemeinschaft nämlich gar nicht leisten.
Von daher sind einfach viele Menschen frustriert, verärgert bis hin zu wütend. Ich glaube auch, dass die Kirche zurzeit kein optimales Krisenmanagement hat. Es dauert einfach zu lange. Man kann Menschen nicht jahrelang auf einem Synodalen Weg ruhig halten, zumal wir auch nicht wissen, ob die Ergebnisse in Rom am Ende wirklich Anerkennung finden.
Und das führt dann dazu, dass Menschen austreten. Das ist für meine Begriffe inzwischen auch eine große Gruppe der Kern-Katholiken, die sich aus der Kirche vertrieben fühlen und die dann obendrein auch noch gerne das Vermeiden von Steuergeld nutzen, um die Kirche zu sanktionieren.
DOMRADIO.DE: Ausgetretene wollen also die Institution Kirche nicht mehr finanziell unterstützen oder vielleicht sogar bestrafen durch diesen Geldentzug. Wie stehen Sie dazu?
Kau: Im wahren Leben arbeiten wir ja überall mit diesem Instrument. Was wir gut finden, fördern wir. Dafür gibt es Subventionen, Hilfsmittel, Spenden. Sie sehen ja jetzt, wie die Menschen für die Not in der Ukraine eintreten, welche Mittel sie möglich machen.
Und umgekehrt bestrafen wir mit finanziellen Sanktionen. Nehmen wir mal das Beispiel Putin. Dieses Instrument ist den Menschen natürlich vertraut und bekannt. Und das setzen sie auch bei der Kirche ein.
Sie müssen bedenken, die Kirche bietet uns ja auch kein Ventil. Ich bin in meinen 68 Jahren noch nie irgendwo eingeladen worden. Ich habe noch nie eine Rechtfertigung erlebt, wo eine Gemeinde mal ihre Finanzen transparent offenlegt und darüber abstimmt, ob wir dem Pastor oder dem Pfarrgemeinderat oder Kirchenvorstand Entlastung erteilen.
Ich habe noch nie eine Zufriedenheitsbefragung der katholischen Kirche erlebt, wie in allen anderen Vereinigungen, wo ich Mitglied bin. Bin nie gefragt worden, ob ich zufrieden bin, welche Verbesserungsvorschläge ich habe. Und die Menschen nutzen das Finanzielle als Ventil, um zu zeigen: So mache ich nicht weiter mit.
DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche in Deutschland hofft jetzt, mit entsprechenden Reformprojekten Menschen auch wieder in die Kirche zurückholen zu können. Glauben Sie an so eine Rückkehr der Menschen, wenn sich beispielsweise Reformen durchsetzen ließen wie "Priester können heiraten" oder Frauen, die zu Klerikern geweiht werden?
Kau: Ja, das glaube ich. Die Themen sind ja bekannt, die kann man ja an einer Hand aufzählen. Das sind eben die Kernthemen: Monarchie abschaffen, Vertuschung aufgeben, aufarbeiten, Pflichtzölibat aufgeben und freistellen, Gleichberechtigung herstellen... Ich glaube, dass Menschen wieder in die Kirche eintreten würden, denn die Kern-Katholiken haben natürlich ein Mangelgefühl: Die fühlen sich vertrieben. Natürlich würde man wieder zurückkehren in eine Gemeinschaft, die sich zeitgemäß aufstellt, die sich der Gegenwart stellt und die nicht so fern ab ist von dem realen Leben, in dem wir tatsächlich als Familien stehen.
DOMRADIO.DE: Die Frage ist, ob man dann wiederum eine große Anzahl von anderen Menschen verlieren würde.
Kau: Das kann ich prophetisch auch nicht beurteilen. Ich stelle nur fest, ich gehöre zu diesen tiefgläubigen Katholiken, die seit 68 Jahren von der frühesten rheinischen Kindheit bis heute mit der Kirche eng vertraut sind und sie eigentlich lieben: die christliche Gemeinschaft und alle Rituale und was dazu gehört und den Glauben. Viel schlimmer finde ich die Gleichgültigkeit, die einzieht. Das heißt, wenn Menschen sich gar nicht mehr an etwas reiben und sagen, "die Sache und die Institution sind mir völlig gleichgültig, macht, was ihr wollt". Das halte ich für viel gefährlicher.
Sie sehen das am Beispiel Kardinal Woelki in Köln. Er hatte dem Papst seinen Rücktritt angeboten. Die Sache ist doch in meinen Augen in jedem Fall entscheidungsreif. Egal ob der Papst nun hundertprozentig zu ihm steht und sagt "das ist mein Mann in Köln". Oder ob er sagt, "der ist für das Amt oder für die Aufgabe nicht geeignet oder hat das Vertrauen seiner Gläubigen verloren". Aber entscheidungsreif ist es in jedem Fall. Wie kann man dann eine Gemeinde und den Mann selber über Monate warten lassen? Das versteht kein Mensch.
DOMRADIO.DE: Es gibt ja Menschen, die der Ansicht sind, dass die Kirche sich ihrer finanziellen Privilegien entledigen solle, um sich dann wieder ihrer eigentlichen Aufgaben zuwenden zu können. Glauben Sie, dass eine Kirche ohne Kirchensteuer eine bessere Kirche sein könnte?
Kau: Geld braucht die Kirche wie jede Gemeinschaft. Jede Institution braucht Geld, um ihre Anliegen zu verwirklichen. Ich würde ihr das gar nicht absprechen wollen, aber ich würde es lieber voneinander trennen. Ich werde in eine Kirchengemeinschaft hinein getauft. Ich bekenne mich zu ihr. Wenn ich durch meine pubertären Zweifel durch bin, muss ich den Glauben dann selber noch mal richtig annehmen. Und dann vertrete ich ihn und lebe ihn dann auch und bin meinetwegen christlich-sozial aktiv oder spende Geld.
Aber aus dieser Gemeinschaft kann mich niemand ausschließen, behaupte ich. Nur die Finanzierung muss über freiwillige Fördervereine laufen, wie in allen anderen Einrichtungen auch. Die Koppelung, dass man ablassähnlich in dem Moment, wo man nicht mehr bereit ist, temporär Kirchensteuer zu zahlen, aus der Glaubensgemeinschaft ausgeschlossen wird, das halte ich für nicht in Ordnung.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.