DOMRADIO.DE: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat geurteilt, dass die antisemitischen Schmähfiguren in Wittenberg nicht entfernt werden müssen. Ein gerechtes Urteil, aus Ihrer Sicht?
Dr. Bernd Wacker ("Arbeitsgruppe Kölner Dom und Juden" des Kölner Domkapitels und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit): Ich begrüße dieses Urteil, obwohl ich es natürlich noch nicht gründlich studiert habe. Es schafft jetzt erst einmal ein Stück weit Rechtssicherheit. Das ist, glaube ich, ganz wichtig. Sonst verhaspeln wir uns ständig in dieser Diskussion, ob das überhaupt sein oder nicht sein darf und wir dieses Dürfen juristisch definieren.
Denn die Tatsache, dass wir solche antijüdischen beziehungsweise antisemitischen Bildwerke in vielen, vielen unserer Kirchen in Deutschland immer noch haben, ist ja nicht zunächst ein juristisches Problem. Die Tatsache stellt uns Christen vor die Frage, wie wir mit diesen Dingen umgehen, wenn wir es wirklich ernst meinen, dass der Umgang mit dem Judentum, der viele Jahrhunderte seit dem Mittelalter in Deutschland und in den christlichen Gemeinden gang und gäbe war, ein furchtbarer Fehler mit furchtbaren Folgen war.
Da ist dieses Urteil für mich zunächst ein Ende des juristischen Streits, aber auch ein Anfang. Von diesem Urteil müssen sich alle Gemeinden betroffen fühlen. Wenn es in unserer Kirche, in unserer Gemeinde solche Darstellungen gibt, wie gehen wir damit um? Und was besagt das für unser Verhältnis zu den Juden, den jüdischen Gemeinden, die in unserer Umgebung leben?
Schmähplastiken oder Schmähskulpturen waren in der christlichen Kunst des Mittelalters fester Bestandteil und Ausdruck von Antijudaismus der Kirchen. Juden wurden in den Darstellungen an den Kirchen verhöhnt, verspottet und gedemütigt. Ein prominentes Beispiel ist die Schmähskulptur "Judensau" an der Wittenberger Stadtkirche.
Auf dem um 1300 entstandenen Relief in etwa vier Metern Höhe ist ein Rabbiner zu sehen, der den Schwanz eines Schweins anhebt und ihm in den After sieht. Zwei weitere Juden saugen an den Zitzen des Tiers. Das Schwein gilt den Juden als unrein.
DOMRADIO.DE: Sie sitzen in der "Arbeitsgruppe Kölner Dom und Juden". Welche Diskussionen werden da geführt?
Wacker: Seit Anfang dieses Jahrhunderts ist zunehmend aufgefallen, dass es diese Bildwerke im Dom gibt. Die Frage war natürlich: Aus welcher Zeit stammen sie? Was waren die Hintergründe? Warum wurden sie im Dom in dieser Form angebracht? Wie haben sie die Zeiten überlebt? Was haben sie in diesen Zeiten bedeutet? All das war nicht aufgearbeitet.
Wir in der Arbeitsgruppe haben uns vorgenommen, das aufzuarbeiten und klar zu machen, was es mit diesen Bildwerken auf sich hat. Unsere Frage ist auch immer wieder: Wie gehen wir damit um, wie ordnen wir das ein?
Da ist eben nicht nur die von mir entstandene kleine Schrift entstanden, die diese Dinge einordnet und in der man nachlesen kann, was die Hintergründe dieser Bildwerke sind. Darüber hinaus gibt es im Dom inzwischen auch spezielle Führungen zu diesen antijüdischen Artefakten.
Es hat inzwischen auch schon Predigten zu diesem Thema gegeben und es hat eine größere Ausstellung gegeben, eine ganze Zeit lang im Domforum, dann später im Dom selbst. Also, es ist einiges gemacht worden, aber das ist längst noch nicht genug.
DOMRADIO.DE: Schilder, die aufgehängt werden, um das Ganze auf den ersten Blick einzuordnen, sind eine Lösung. Würden Sie sich so etwas auch für den Kölner Dom wünschen?
Wacker: Nein, das würde ich mir nicht wünschen. Wer sich für diese Dinge interessiert, kann in dieser Schrift wirklich alles nachlesen. Das geht viel genauer, als wenn wir überall ein Täfelchen hinhängen würden.
Wir könnten überlegen, ob wir in der Arbeitsgruppe die digitalen Zugangswege zu diesem "Kunstwerk" viel stärker nutzen sollten und auf diesem Weg noch viel mehr Informationen transportieren könnten als die, die wir in der kleinen Schrift, die wir im Dom niedergelegt haben. Also, da ist noch vieles möglich.
Aber jetzt überall Tafeln hinzuhängen, finde ich nun wirklich nicht den richtigen Punkt. Zumal, wenn sich Massen durchdrängen, könnte ja höchstens ein Satz draufstehen. Und mit einem Satz kann man diese Dinge nicht erklären.
Man könnte überlegen, ob es nicht vorne direkt am Eingang des Domes einen größeren Hinweis darauf gibt, dass es diese Artefakte gibt und dass sie keineswegs mehr die gegenwärtige Haltung der katholischen Kirche und der christlichen Kirchen zum Judentum darstellen. Das könnte man vielleicht in irgendeiner Form machen, über die ich gar nichts sagen könnte.
Aber an jedes dieser Darstellungen ein Täfelchen zu hängen, scheint mir nicht weiterführend.
DOMRADIO.DE: Dabei sind die Wittenberger Stadtkirche und der Kölner Dom auch nicht die einzigen Kirchen, die dieses Problem von antijüdischen Darstellungen haben. Wie sieht es darüber hinaus aus?
Wacker: Es gibt eine Vielzahl von Kirchen, auch größeren Kirchen in Deutschland mit antijüdischen Darstellungen. Im Bamberger Dom oder im Freiburger Dom gibt es Darstellungen, die auf eine eindeutige Abwertung des Judentums hinauslaufen.
In vielen Kirchen ist schon auch einiges versucht worden, mit diesen Dingen umzugehen. Da muss man dann jeweils genau hinschauen. Es gibt aber auch kleinere Kirchen, also Gemeindekirchen, wo nichts getan worden ist und wo man vielleicht noch genauer darauf aufmerksam machen müsste.
Ich bin vor einiger Zeit mal wieder in Maria Laach gewesen und in der rechten Apsis-Kapelle der beeindruckenden Klosterkirche finden Sie eine Darstellung des Gnadenstuhls, also Gottvater, der den gekreuzigten Jesus auf dem Schoß hält. Der Geist ist dabei.
Und rechts und links sehen Sie die Darstellung der Kirche als Königin, gekrönt mit einem Kelch, und rechts sehen Sie die Synagoga mit verbundenen Augen. Sie trägt eine Fahne mit einem Schriftzug, auf dem steht "Wir haben ein Gesetz und nach diesem Gesetz muss er sterben". Das ist natürlich auf die Kreuzigung Jesu bezogen.
Als ich beim letzten Mal in Maria Laach war, habe ich dort keinen Hinweis, keine Tafel, keine Erklärung und auch keine erklärende Schrift zu dieser Darstellung gefunden. Vielleicht ist das jetzt anders. Das weiß ich nicht. Aber jedenfalls glaube ich, dass es viel Nachholbedarf in der Richtung gibt.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.