DOMRADIO.DE: Was ist denn der generelle Trend im Moment bei den Geflüchteten aus der Ukraine?
Irene Porsch (Flüchtlingsbeauftragte des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln): Man kann nicht von einem generellen Trend bei den aus der Ukraine Geflüchteten sprechen. Viele bemühen sich zeitnah darum, die deutsche Sprache zu lernen, hier anzukommen sowie sich und ihren Kindern ein stabiles Umfeld zu bieten. Sie wollen sich hier vorübergehend integrieren und eine Bleibe finden.
Es gibt aber auch einen zunehmenden Trend, dass Menschen aus der Ukraine in ihre Heimat zurückreisen, wenn sie die Botschaften erhalten, dass ihre Gebiete wieder relativ sicher sind. Manche kehren auf diesem Rückweg aber auch wieder um. Ich denke, da können wir uns auf eine Art Pendelbewegung einstellen.
DOMRADIO.DE: Viele private Haushalte haben im Frühjahr signalisiert, eine Familie aus der Ukraine aufnehmen zu wollne. Wie ist Ihre Erfahrung? Hat das gut geklappt?
Porsch: Die Hilfsbereitschaft ist immer noch überwältigend. Bei der privaten Aufnahme setzt nun allerdings auch etwas Ernüchterung ein. Das muss man sagen.
Es funktioniert oft und dann auch sehr gut. Aber es funktioniert manchmal aber auch nicht beziehungsweise je länger die Zeit voranschreitet, desto schwieriger wird auch das Zusammenleben. Das ist aber auch klar.
Wenn man jemanden für zwei oder drei Wochen in seine Räume aufnimmt, ist das erst mal was Schönes und Gutes. Dann kann man sich auch gut miteinander arrangieren. Je länger man zusammen die Zeit verbringt, desto mehr Konflikte und auch Herausforderungen entstehen.
Zumal das Kriegsgeschehen in der Ukraine, je länger es dauert, natürlich auch die Geflüchteten sehr beeinträchtigt und in ihrem Erleben hier beeinflusst. Sie haben alle ihre Angehörigen, meistens ihre Partner, noch in der Ukraine. So ist das Kriegsgeschehen sehr präsent. Das kommt auch in die privaten Haushalte mit rein. Das führt zu Konflikten, Auseinandersetzungen und Herausforderungen.
Wir erleben zunehmend, dass Menschen unsere Beratungsstellen aufsuchen und sagen, dass das so eigentlich nicht mehr funktioniert.
Da brauchen sie dann Unterstützung. Das ist schwierig, weil gerade die Menschen, die diese Hilfe angeboten haben, sich jetzt total schwer damit tun, zu sagen, dass sie an ihre Grenzen kommen und nicht mehr können, aber auch nicht daran Schuld seien möchten, dass diese Menschen jetzt in öffentliche Flüchtlingsunterkünfte müssen. Auf der anderen Seite ist es eine Hilfe, die sich jetzt schon ganz schön lange hinzieht.
DOMRADIO.DE: Im Vergleich zu anderen Geflüchteten haben ukrainische Flüchtlinge eine ganze Reihe von Privilegien. Die rutschen zum Beispiel jetzt direkt ins Arbeitslosengeld II, sie dürfen arbeiten. Führt das auch zu Konflikten zwischen den unterschiedlichen Flüchtlingsgruppen?
Porsch: Erstaunlich wenig. Es führt zu Frustration bei Menschen, die schon länger hier sind. Es legt offen, dass wir in unserer Gesellschaft ein Problem haben, weil wir eigentlich Menschen schlecht behandeln, die nach Deutschland und nach Europa kommen und fliehen mussten. Der etwas andere Umgang mit den Menschen aus der Ukraine legt das jetzt offen.
Konflikte unter den Geflüchteten erleben wir eigentlich kaum. Frustration ist da. Aber auf der anderen Seite gibt es auch bei den Geflüchteten aus Syrien oder Afghanistan eine enorme Hilfsbereitschaft. Wir haben Projekte, bei denen vor Jahren geflüchtete Frauen in Bergisch Gladbach einen Treff organisieren und explizit geflohene Frauen aus der Ukraine einladen, weil sie wissen, wie das ist, wenn man seine Heimat aufgibt. Sie möchten denen helfen, in diesem Sozialraum anzukommen.
Auch im Willkommenscafé für Geflüchtete in Euskirchen sitzen Menschen mit eigener Fluchterfahrung und sagen auch ganz bewusst: "Wir möchten aktiv etwas für sie tun".
DOMRADIO.DE: Vor was für Herausforderungen stehen Sie auf der anderen Seite?
Porsch: Eine große Herausforderung ist Wohnraum. Im Gebiet des Erzbistums Köln ist der Wohnraum einfach knapp. Natürlich ist er auch für Geflüchtete aus der Ukraine knapp. Da wächst auch die Konkurrenz zu Geflüchteten, die schon länger da sind, und zu anderen Menschen mit knappem Budget.
Wer begrenzte Mittel für Wohnraum zur Verfügung hat, der hatte schon vorher in Köln, Bonn und Düsseldorf geringe Chancen. Das ist für die Menschen aus der Ukraine auch so.
Auf der anderen Seite braucht es eigentlich gerade etwas, das den Alltag stabilisiert, wie einen festen Wohnraum, um mit den Erlebnissen besser klarzukommen und vielleicht nicht in Trauma-Behandlung reinzurutschen.
Trauma ist das nächste Stichwort. Bei der psychosozialen Betreuung und Begleitung hakt es auch. Es gibt einfach viel zu wenig Möglichkeiten. Die Kapazitäten, die wir hier in NRW haben, waren vorher schon für Menschen aus Afghanistan und für verschiedene andere Menschen, die traumatische Erfahrungen auf der Flucht und in ihren Herkunftsländern gemacht haben, erschöpft.
Genauso sind Sprachkurse und viele Angebote für Kinder und für Jugendliche insgesamt in unserer Gesellschaft zu knapp bemessen. Kitas sind sowieso schon an ihren Kapazitätsgrenzen. Die haben natürlich nicht plötzlich eine große Anzahl an neuen Plätze zur Verfügung.
Auf der anderen Seite wäre das ganz wichtig für die Familien aus der Ukraine, dass sie möglichst schnell mit ihren Kindern in Kitas und Schulen kommen, um den Alltag mitzuerleben und so nach und nach Ruhe und Sicherheit zu erfahren.
Das interview führte Hilde Regeniter.