DOMRADIO.DE: Wie erleben Sie das als Bergsteiger, wenn von solch einem Unglück berichtet wird?
Martin Grab (Pfarrer und Bergsteiger): Ich bin sehr schockiert, zumal ich die Marmolata wenigstens vom Sehen her kenne und weiß, an welcher Stelle des Normalweges dieses Unglück passiert ist. Das Schlimme ist, es kann jederzeit und fast überall in Gletschergebieten passieren.
DOMRADIO.DE: Sie sind schon seit Sie fünf Jahre alt sind in die Berge gestiegen. Wenn Sie sich die vergangenen Jahre und Jahrzehnte anschauen, wie hat die Berglandschaft und das Bergsteigen sich verändert?
Grab: Zunächst mal ist festzuhalten, dass wesentlich mehr Menschen in den Bergen unterwegs sind als früher. Und durch die Erschließung sind auch manchmal Menschen in Höhen gekommen, in denen sie vom Schuhwerk und von ihren Fähigkeiten her überhaupt nichts zu suchen haben. Sie sehen auf 3.000 Metern manchmal Menschen in Sandalen oder Turnschuhen direkt im Gletschergebiet. Es sind also mehr Touristen geworden. Es gibt aber auch immer mehr Menschen, die mit Leidenschaft in die Berge gehen. Das sind nicht nur die Alten, es sind zunehmend Menschen zwischen 20 und 40.
DOMRADIO.DE: Hat die Berglandschaft sich denn durch die Menschen auch verändert und ist in Mitleidenschaft gezogen worden?
Grab: Eigentlich wäre vorauszusetzen, dass, wer in die Berge geht, ein gewisses Maß an Achtung gegenüber der Natur mit sich bringt. Aber Sie merken das ganz genau, wenn Sie in der Nähe von Seilbahnen sind oder viel begangenen Wege: Da liegt Müll, da liegen Papiere, Flaschen, alles Mögliche herum. Es ist manchmal echt eine Schande.
DOMRADIO.DE: Sie sagen, dass sie auch schon die eine oder andere leichtsinnige Bergsünde begangen haben, die andere teilweise mit dem Leben bezahlt haben. Und, dass ihnen Gott in den Bergen schon oft aus der Patsche geholfen hat. Wo haben Sie das gespürt?
Grab: Einmal bin ich auf einer Klettertour an der Zugspitze, ohne zu sehen, ob da ein Griff ist oder nicht, an der Wand hochgesprungen. Links und rechts von mir ging es hunderte Meter runter und da war tatsächlich ein Griff. Das habe ich als Gottes Hilfe wahrgenommen und es war sicher auch eine. Ein andermal, bei der Alpenüberquerung, habe ich ganz allein in einem Gewitter gestanden, wusste nicht mehr, in welche Richtung ich gehen sollte. Der Nebel ließ vielleicht noch 10 Meter Sichtweite zu. Und ganz plötzlich hob sich der Nebel und ich stand direkt vor einem Wegschild. Und das hat mir dann den Weg gewiesen.
DOMRADIO.DE: Nach dem Gletscherbruch auf der Marmolata denkt die Region jetzt daran, Alarmsysteme für Bergsteiger einzuführen. Rote Fahnen auf den einsturzgefährdeten Gletschern könnten da Alpinisten helfen, bewusste Entscheidungen zu treffen. Das ist eine von diesen Ideen. Was halten Sie davon? Zusätzlich dazu, dass Gott vielleicht ein Auge auf die Menschen hat.
Grab: Ich denke, irgendwo ist der liebe Gott auch überfordert, wenn er auf jeden Blödsinn, auf jeden Leichtsinn, den Menschen begehen, achten sollte. Deshalb finde ich diese Idee mit den Warnschildern und Warnsignalen eine sehr gute Idee. Es wird sich aber meiner Einschätzung nach nicht vermeiden lassen, dass Leichtsinnige oder Uninformierte dann trotzdem oder dann vielleicht erst recht, um den Nervenkitzel herauszufordern, dort unterwegs sind.
DOMRADIO.DE: Würden Sie denken, dass es auch Sinn ergeben könnte, bestimmte Menschen von vornherein mit einer Art Pass kontrolliert in die Berge zu lassen - oder eben auch nicht?
Grab: Es klingt im ersten Moment sympathisch. Fürs Autofahren brauche ich auch einen Führerschein und dergleichen. Aber wer sollte das wie kontrollieren? Die Alpen sind so groß. Sie müssten auf jedem Berg, an jedem Weg Kontrollen aufstellen. Das ist in der Praxis nicht durchführbar. Man kann nur immer und immer wieder an die Vernunft, an die Selbstverantwortung der Menschen appellieren.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.