Moskaus Ex-Oberrabbiner spricht über Ausreise aus Russland

"Auf uns wurde Druck ausgeübt"

Der frühere Moskauer Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt hat vor seiner Ausreise aus Russland vor einem moralischen Problem gestanden. "Jeder, der sich zum Krieg äußert, läuft Gefahr, bestraft zu werden und ins Gefängnis zu kommen".

Pinchas Goldschmidt / © Sven Hoppe (dpa)
Pinchas Goldschmidt / © Sven Hoppe ( dpa )

"Auf uns wurde Druck ausgeübt, dass sich die jüdische Gemeinde offiziell für den Krieg ausspricht", sagte Goldschmidt im Interview der "Süddeutschen Zeitung" (Freitag).

Rabbi Pinchas Goldschmidt bei der Generalversammlung der Europäischen Rabbinerkonferenz / © Dieter Mayr (KNA)
Rabbi Pinchas Goldschmidt bei der Generalversammlung der Europäischen Rabbinerkonferenz / © Dieter Mayr ( KNA )

"Weil wir keine Möglichkeiten hatten, etwas Kritisches zu äußern, haben wir anfangs beschlossen, gar nichts zu sagen. Das war für mich ein großes moralisches Problem: Ich schweige - und doch muss ich etwas tun. Deshalb habe ich mit meiner Frau beschlossen, Russland zu verlassen", erklärte Goldschmidt, der auch Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz (CER) ist.

Israel, wo er sich inzwischen aufhält, sei wegen persönlicher Verbindungen auch Heimat, aber er fühle sich tatsächlich im Exil.

Russland bewegt sich zurück in Richtung Sowjetunion

Den Krieg in der Ukraine bezeichnete Goldschmidt erneut als Katastrophe, auch für Russland. Das Land gehe in "sehr großen Schritten" zurück in Richtung Sowjetunion.

Der Rabbiner verwies darauf, dass er mit seiner Frau nach der Ausreise zunächst ukrainischen Flüchtlingen in Osteuropa geholfen habe. Für die Hilfe habe die CER einen Fonds angelegt, um Gemeinden in Europa zu unterstützen. Auch seien Dutzende Freiwillige aus Israel als Dolmetscher eingesprungen. "Für Europa und auch für das europäische Judentum war es einer der schönsten Momente, wie diese Flüchtlinge aufgenommen worden sind."

In Abwesenheit wiedergewählt

Während seiner Abwesenheit war Goldschmidt erneut zum Oberrabbiner von Moskau gewählt worden. Er habe aber verstanden, dass es wegen seiner Position großen Druck auf die Gemeinde gebe. "Ich bin zurückgetreten, um die Zukunft der Gemeinde nicht zu gefährden."

Die jüdische Gemeinde funktioniere zwar weiter in Russland, aber es gebe Probleme: "In den letzten Jahren wurden zum Beispiel mehr als zehn Rabbiner ausgewiesen, aus unterschiedlichen Gründen. Das ist ein Anzeichen dafür, dass die Situation sehr heikel ist."

Er bekomme mittlerweile mehr und mehr Telefonanrufe von Gemeindemitgliedern, die nach Israel gekommen seien. "Meine Ausreise hat wohl vielen Familien geholfen, auch diesen Entschluss zu fassen.

Nach der jüngsten Statistik sind seit Kriegsbeginn sogar mehr russische als ukrainische Juden nach Israel eingewandert." Ein großer Teil der Gemeinde in Russland sei besorgt und die Stimmung bedrückend.

Stichwort: Rabbi

In den Evangelien des Neuen Testaments wird Jesus als Rabbi und damit als jüdischer Gelehrter bezeichnet. Diese ehrerbietige Anrede bedeutet "Meister"; in ihr kommen Gehorsam und Respekt zum Ausdruck. Jesus selbst bestätigt, dass ihm diese Anrede zukommt (Joh 13,13). Obwohl Jesus kein studierter Schriftgelehrter ist, tritt er wie ein solcher auf, was diese als Anmaßung empfinden. Er lehrt in der Synagoge, interpretiert die Schrift und hat einen Schülerkreis. Jesu Lehre ist nicht gegen den in der Tora dargelegten jüdischen Glauben.

Symbolbild Thorarolle / © Pedro Gutierrez (shutterstock)
Symbolbild Thorarolle / © Pedro Gutierrez ( shutterstock )
Quelle:
KNA